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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0280
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6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

279

wicklung der Moraltheologie zur eigenständigen Disziplin218 ist nicht zuletzt in
diesem Zusammenhang zu verstehen.
Für alle Konfessionen standen Katechese und Seelsorge im Kern ihres Bemü-
hens um die Gläubigen.219 Luther hatte die Forderung erhoben, dass jede Theo-
logie in erster Linie praktisch sein müsse („Vera theologia est practica“),220 wozu
„Gewissen, Bußbereitschaft und Glauben“ zählten.221 Mit den Beschlüssen des
Konzils von Trient waren katechetische Volksunterweisung und Predigt als Aufga-
ben des Klerus ausdrücklich benannt worden, denen an allen Sonn- und Feiertagen
auch nachzukommen war.222 Das Bekenntnis begangener Sünden galt dabei als un-
erlässlich, weil nur hierdurch ein gutes und ruhiges Gewissen garantiert wurde, das
wiederum notwendig für den Empfang der Kommunion war; ein schlechtes oder
unruhiges Gewissen hätte auf ein unruhiges Herz verwiesen. Solche Gedanken
waren nicht nur pastorale Theorie, sondern fanden ihren Niederschlag tatsächlich
in der Praxis, wie kirchliche Untersuchungsprotokolle nahelegen.223
Der tradierte Zusammenhang von Beichte und Eucharistieempfang wurde nach
anfänglicher Skepsis Luthers und vor dem Hintergrund einer eher uneindeuti-
gen Positionierung durch die Confessio Augustana (cap. 11 u. 25) in der Folgezeit
kaum noch infrage gestellt.224 Wohl aber erfuhr der Akt des Bekennens im Protes-
tantismus eine Zweiteilung: Er war formalisierte geistliche Sittenüberwachung auf
der einen und freiwilliger religiöser Akt auf der anderen Seite,225 wobei die Ver-
bindlichkeit beider Bekenntnisformen sich nicht zuletzt aus ihrer Komplementa-
rität ableiteten ließ. Eine „innere Selbststeuerung durch das Gewissen“ wurde
„hier mit äußerer disziplinierender Fremdkontrolle wirksam kombiniert.“226
Während die Veränderungen des Beichtwesens innerhalb der protestantischen
Konfessionen somit vor allem um jene Leerstelle kreisten, die der Verlust der

218 Vgl. J. Theiner, Die Entwicklung der Moraltheologie-, B. Häring, Das Gesetz Christi, Bd. 1,
S. 54-7; K. Golser, Gewissen und objektive Sittenordnung, S. 56-68.
219 Vgl. Th. Kaufmann, Erlöste und Verdammte, S. 357 und passim.
220 M. Luther, Tischreden, n° 153, in: WA, Tischreden, Bd. 1, S. 72.
221 So A. Holzem, Christentum, Bd. 1, S. 284.
222 Concilium Tridentinum, Sess. V, decr. II; Sess. XXIV, can. 4, in: Dekrete der ökumenischen
Konzilien, Bd. 3, S. 667-70, 763. Vgl. im Überblick H. Jedin, Religiöse Triebkräfte, S. 588-91.
223 Vgl. D. W. Sabean, Das zweischneidige Schwert, S. 61.
224 Vgl. hierzu A. Hahn, Zur Soziologie der Beichte, S. 179-81 (416-8); A. Holzem, Christentum,
Bd. 1, S. 493f., 496f.; einen Überblick verschiedener protestantischer Positionen zur Beichte,
ihrer Bedeutung und Funktion gibt H.-P. Arendt, Bußsakrament, S. 35-44. Zu Funktion und
Bedeutung der Beichte für Luther vgl. mit weiteren Hinweisen: M. Ohst, Pflichtbeichte,
S. 2-9 sowie zusammenfassend K. Kemnitzer / K. Raschzok, „Beichte“.
225 A. Hahn, Zur Soziologie der Beichte, S. 181 (418); zu den Formen des Beichtens vgl. E. Bezzel,
„Beichte III“, v. a. S. 423.
226 A. Hahn, Zur Soziologie der Beichte, S. 181 (418).
 
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