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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0323
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322

6. Rezeptionen und Wirkungen

Im Jahr 1659 erschien der erste Band seiner Dreifachen Theologie des Paulus,
einer Auslegung der paulinischen Briefen im literalen, im tropologischen und im
anagogischen Sinn (positiva, moralis, mystica); ein zweiter Band folgte 1661, ein
dritter 1664.412 Sein monumentaler Kommentar zu all jenen Texten des Neuen
Testaments, die traditionell dem Paulus zugeschrieben wurden, erklärt nicht suk-
zessive einzelne Verse oder gar Worte, sondern beleuchtet stets die Kapitel als
textliche wie sinntragende Einheit und deutet sie aus. Georges’ d’Amiens Inte-
resse war somit weniger ein philologisches als vielmehr ein theologisches.
Der Bezug auf das Motiv der vier Arten des Gewissens, dessentwegen die
Trina Theologia hier von Interesse ist, findet sich im Kommentar zum Hebräer-
brief, der 1664 im dritten Band erschien, genauer: in der anagogischen Auslegung
(Tropologia anagogica) von dessen drittem Kapitel über die Prävalenz Christi
gegenüber Moses. Überschrieben ist der Abschnitt mit Von der dreifachen Ruhe,
womit auf den in Hbr 3.11 zitierten Psalm 94 Bezug genommen wird, wo es
heißt: „Et isti non cognoverunt vias meas ut iuravi in ira mea si intrabunt in
requiem meam.“ (Ps 94.11) Wenn Gott sage, „Sie sollen in meine Ruhe einge-
hen“, deute er an, so der Kapuziner, dass es noch eine andere Ruhe gebe. Ja, er
könne gar eine dreifache Ruhe entdecken: die erste sei fleischlich und todbrin-
gend, die zweite geistlich und christlich, die dritte unsterblich und göttlich. Die
erste Ruhe sei die verdorbene Natur, die zweite das gute Gewissen, die dritte aber
die ewige Glorie.413
Zur ersten Art der Ruhe wusste Georges d’Amiens zu berichten, dass zwar
alle Menschen sich nach Ruhe sehnen würden, aber nur wenige sie gewinnen
könnten. Die Ruhe, die jene fleischlich Gesinnten fänden, sei der Tod; sie würden
nicht im Frieden (pace), sondern im Pech (pice} ruhen.414 Jene zweite Ruhe - das
gute Gewissen - würde sich bereits deutlich von der ersten unterscheiden. Die
zentralen Formulierungen, mit denen diese Ruhe beschrieben wurde, sind
Senecas 23. Brief an Lucilius415 sowie den Charakterisierungen der conscientia
sto'icisme, v. a. S. 345-64 zur Trina. Pauli Theologia. Vgl. auch den Forschungsüberblick bei Chr.
Strohm, Ethik, S. 117-22, sowie M. Venard, Christentum und Moral, S. 1017-20.
412 Der erste und der zweite Band erschienen in Paris bei der Witwe des Dionysius Thierry. Sie
druckte die beiden Bände 1664 in Lyon erneut; hier erschien auch der abschließende dritte
Band, allerdings bei Horace Boissat und George Reme.
413 „Cum ait Deus, Si introibunt in requiem meam, innuit aliam esse requiem. Triplicem imo requi-
em invenio. Primam, qua: carnalis est et mortifera; alteram, qua: spiritualis et Christiana, ter-
tiam, qua: immortalis et divina. Prima, natura: corrupta: est; altera; bona: conscientia:; tertia;
a:terna: gloria:.“ Georges d’Amiens, Trina Pauli Theologia, In epistol. Pauli ad Hebra:os, cap.
3, Bd. 3, S. 317 b.
414 „Qua:runt omnes requiem, sed non omnes inveniunt. [...] Non aliam requiem inveniunt, quam
malam mortem, per quam non in pace, sed in pice requiescunt.“ Ebd., S. 317 b-318 a.
415 „Ego vero, ait Seneca, quod et mihi et tibi prodesse possit scribam. Quid autem id erit, nisi
ut te exhortet ad bonam mentem? Huius fundamentum quod sit qua:ris? Ne gaudeas vanis.
 
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