Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0327
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
326

6. Rezeptionen und Wirkungen

bei denen es sich wohl selbst wieder um Geistliche handelte, so dass auch diesem
Werk - berücksichtigt man überdies die zahlreichen Auflagen - eine klare Distri-
butionsfunktion zugesprochen werden kann.
In der dritten, unter dem Stichwort des Friedens (Pax) zusammengefassten
Gruppe von Predigten griff der Franziskaner auch auf das Motiv der vier Gewis-
sensarten zurück. Der Hintergrund ist dabei ähnlich wie jener in der oben vorge-
stellten Fastenpredigt des Jean Raulin: Während dieser davon ausging, dass die
menschliche Seele in dreierlei Weise im Streit liegen könne - mit Gott, mit dem
Nächsten und mit sich selbst -,429 so beginnt Vivien seine Predigt mit der Bemer-
kung, dass der Friede uns mit eben diesen verbinde. Die Sünde aber sei es, die den
Menschen von Gott, von sich selbst und vom Nächsten trenne, weshalb der
Mensch den Frieden suchen müsse. Damit sind die inhaltlichen Schwerpunkte
der folgenden Predigt benannt.430
Ähnlich wie zuvor auch schon bei Raulin wird das Gewissen im Abschnitt
zum Frieden des Menschen mit sich selbst eingeführt: Groß sei der Unterschied
zwischen den Seligen des Himmels (comprehensores) und jenen, die auf Erden
wandelten (viatores)431 Die Seligen würden den Frieden des Himmels genießen,
während die Menschen mit den Beschwerlichkeiten und Anfechtungen des Le-
bens auf Erden konfrontiert seien. Aber selbst wenn die Menschen den Frieden
mit sich selbst genießen würden, wäre dieser nicht der vollkommene Friede des
Himmels: Worin eine solche pax perfecta besteht, habe Bernhard erwähnt, als
er jenen Psalm Davids zitierte: ,Kehre dich um, meine Seele, in deine Ruhe/432
Eben dieser Psalm433 scheint für Michel Vivien wie schon zuvor für Georges
d’Amiens gleichsam Signal und Anknüpfungspunkt an Bernhards Predigt Vom
vierfachen Gewissen gewesen zu sein, war doch bisher vom Gewissen innerhalb
seiner eigenen Predigt noch gar keine Rede. Aber der Übergang erscheint durch-
aus passend, war beim Zisterzienser doch die Rede davon, dass die Seele im Ge-
wissen leide oder ruhe, bevor er unmittelbar zur Aufzählung der vier Gewissens-
zustände kam, die Vivien auch fast identisch übernahm: Ein Gewissen sei gut,
429 Vgl. oben S. 284, Anm. 245.
430 ..] pax nos Deo, nobis, et proximis agglutinat. [...] Peccatum divisit hominem a Deo, a seip-
so, et a proximo, quapropter merito in terra homini pax est querenda: 1. pax cum Deo: 2. pax
cum seipso: 3: pax cum proximo.“ M. Vivien, TertiMianusprxdicans, Pax, conc. 3, Bd. 5, S. 245.
431 „Magnum sane est discrimen inter comprehensores et viatores.“ Ebd., S. 247.
432 „Beati et comprehensores [...] perfecta in coelo fruuntur pace. [...] viatores vero etsi justitia
decorati, cum Deo pacem habeant, multis tarnen molestiis, cupiditatibus, perturbationibus,
sunt agitati. [...] Verum licet pax qua homo fruitur in seipso, non accedat ad perfectionem pacis
superna: Hierusalem [...] attamen justi in sa^culo gaudent pace in seipsis, qua non potiuntur
scelerosi. Ut autem in quo consistat, dignoscatur, animadvertit D. Bernardus elucidans istud
Davidicum: Convertere anima mea in requiem tuam.“ Ebd.
433 Vgl. oben S. 61.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften