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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0331
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330

6. Rezeptionen und Wirkungen

Der Bezug auf das Motiv der Gewissensarten hebt sich zudem - auch wenn er
den anderen hier angeführten Rekursen zunächst in fast allen Punkten zu glei-
chen scheint - doch erkennbar von diesen ab und verweist auf ein neues Deu-
tungsschema, in das der allgemeine Zusammenhang von Gewissen sowie gutem
Leben und Sterben integriert ist: das von Libertinismus und Atheismus. Die 1726
erschienene deutsche Übersetzung der Predigt ist hier in der Formulierung deut-
lich reduktionistisch und benennt diejenigen, die ein schlechtes, aber ruhiges
Gewissen haben, als „Ohn-Götter“ und „Gottlose“. Joly selbst hatte an dieser
Stelle von „ces libertins de profession“ und „ces athees“ gesprochen und damit
auf eine zeittypische Strömung nicht nur, aber vor allem auch im Frankreich des
17. Jahrhundert Bezug genommen. „Hinter der glänzenden christlichen Fassade
des Großen Jahrhunderts vollzieht sich“, wie Georges Minois formulierte, „in
Wirklichkeit eine geheime Wühlarbeit [,..].“447
Unter dem Begriff des Atheismus wurden dabei bereits in der Frühen Neuzeit
ganz verschiedene Konzepte zusammengefaßt, die von schlichter Heterodoxie,
über bloßen Skeptizismus, Libertinismus oder Deismus bis hin zur tatsächlichen
Gottesleugnung reichten.448 Das Grundproblem, das sich für Joly und die Ver-
treter der Orthodoxie stellte, war in diesem Zusammenhang nicht zuletzt das der
Begründung moralischer Normen: Fiel nämlich Gott als jene Instanz aus, die
Regeln im Buch des menschlichen Gewissens verbindlich eingeschrieben hatte,
dann verloren eben diese Gesetze Gottes ihren verpflichtenden Charakter.449 Die
Folge war, so Joly, dass ein solcher Mensch ein schlechtes Gewissen hatte - denn
dass er ein Gewissen besaß, stellte für den Prediger eine objektive, weil katholi-
sche Wahrheit dar. Weil ein solcher Mensch aber selbst nicht auf dieses Gewissen
hörte, er den dort festgehaltenen Gesetzen Gottes also nicht folgte, war sein Ge-
wissen ruhig - ruhig selbst dann; wenn er, Joly zufolge, in die Hölle stieg - ein
solcher Mensch war sich dessen ja nicht einmal bewusst.

sen, die den Gewissenswurm bereits im Titel führen: Der Wurm des schlechten Gewissens des
Jesuiten Paul Zehentner, erschien 1633 zunächst auf Latein, später dann auch auf Deutsch.
Das 1672 publizierte Heft: Conscientia scelerum vindex, Der nagende Wurm deß Gewissens;
J. Hülsemann, Calixtinischer Gewissens-Wurm (1653); später der kontroverstheologische:
Gewissens-Wurm eines unbekannten Jesuiten mit den Initialen I. B. P. (1732).
447 G. Minois, Geschichte des Atheismus, S. 231.
448 Vgl. in kritischer Auseinandersetztung mit der aktuellen Forschung, die ebenfalls einen weiten
Atheismusbegriff pflegt, aber mit Verweis auf die je relevanten Studien: W. Schröder, Ur-
sprünge des Atheismus, v. a. S. 21-87.
449 Vgl. meine Studie Das Buch des Gewissens.
 
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