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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0334
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6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

333

Von diesen vier Arten des Gewissens, so beschließt Palanco seinen Rekurs, sei die
erste die beste, die letzte aber die schlechteste, die zweite sei weniger gut, die dritte
weniger schlecht.456 Mit dieser Gewichtung der vier Gewissensarten bewegte er
sich im Rahmen der Tradition, soweit sich diese auf den Traktat Von den vier Arten
der Gewissen bezog;457 durch die Einbindung der passiones in die tradierte Kon-
zeption hatte er diesen Rahmen jedoch zugleich erkennbar erweitert.
Die menschlichen Leidenschaften und ihr Einfluss auf den Willen und mithin
auf das Handeln des Menschen waren insbesondere in der Philosophie des
Thomas von Aquin und den sich an diese anschließenden Diskursen zentrale
Diskussionsfelder.458 Palanco gelang es mithin, De quattuor modis conscien-
tiarum auf diesen Feldern anschlussfähig zu machen und den Traktat in die aka-
demisch-scholastischen Diskurse einzubringen. Seine Bestimmung des Hand-
lungsbezugs des Gewissens im Sinne einer conscientia antecedens war hierfür
ohne Zweifel entscheidend.
Es gelang Palanco jedoch zugleich auch auf einem anderen Gebiet, den Trak-
tat des 12. in die Diskussionen des 17. Jahrhunderts zu integrieren: dem Feld der
nun auch disziplinär etablierten Moraltheologie und den hier zwischen den ver-
schiedenen Schulen ausgetragenen Konflikten. Hierbei ging es um die ganz
grundsätzliche Frage, ob Unwissenheit oder Unaufmerksamkeit davor bewahren
würde, eine Sünde zu begehen459 - mithin jene Fragen, die bereits Abelard zur
Einsicht geführt hatte, dass für die moralische Bewertung von Handlungen stets
die zugrundeliegenden Absichten zu berücksichtigen seien.460
Palancos Ausführungen standen dabei in einer langen Tradition von zum Teil
kontrovers geführten Debatten. Das von ihm in die Diskussion eingebrachte Bei-
spiel steht dabei in deutlicher Nähe zu demjenigen, das Abelard zur Entwicklung
seiner Theorie von der Bedeutung der Intentionalität geführt hatte: die Frage nach
der Schuld derjenigen, die Christus gekreuzigt hatten. Seine Schlussfolgerungen
jedoch sind von denen Abelards erkennbar verschieden: Palanco führt jene an,
die, obwohl sie Gott lästerten und sich Ausschweifungen hingäben, dann entschul-
digt würden, wenn ihnen die Erleuchtung des Geistes oder Gewissensbisse fehlen
würden - sie also nach eigenem Bekunden keinen bösen Gedanken gehabt hät-

456 „Ex his quatuor conscientijs, prima est optima, ultima pessima, secunda minus bona, tertia
minus mala.“ Ebd.
457 Vgl. hierzu unten S. 336.
458 Vgl. hierzu ausführlich E. Schockenhoff, Die Lehre von den passiones animae sowie J. Mül-
ler, Willensschwäche.
459 „Questio VIIL An dentur peccata formalia, et proprie talia, commissa cum ignorantia, et inad-
vertentia malitia:?“ Fr. Palanco, Lractatus de conscientia, S. 96 b.
460 Vgl. oben S. 32f.
 
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