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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0337
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6. Rezeptionen und Wirkungen

sichtlich von außerordentlicher Attraktivität bei der Zurückweisung der Argu-
mente der Reflexistae. Sie konnte es jedoch nur deshalb sein, weil er den
Handlungsbezug des dort entwickelten Gewissensbegriffs - anders als zuvor bei
der Einbindung der passiones in diese Systematik - nicht mehr als conscientia
antecedens deutete, sondern nun wieder als consequens. Erst durch die Erinne-
rung bereits geschehener Handlungen und ihre moralische Beurteilung, konnte
das Gewissen als Instanz fungieren, die Aufschluss über den Grad der Sünd-
haftigkeit eines Menschen aufgrund seines Handelns gab. Während für die von
ihm geschmähten Probabilisten, die Reflexistae, das Kriterium der Ruhe oder
Unruhe Ausdruck der moralischen Qualität des Gewissens war - so zumindest
seine Deutung dieser Konstellation -, so hielt Palanco selbst das Kriterium des
guten oder des schlechten Gewissens an sich für ausschlaggebend, um die Sünd-
haftigkeit einer Handlung festzustellen, da er Gutheit und Schlechtigkeit als ob-
jektive Wertmaßstäbe bestimmte, die ein hiervon unabhängiges Schuldbewusst-
sein oder -unbewusstsein nicht zuließen.
Dabei spielte Palanco natürlich in die Hände, dass es sich bei Bernhard von
Clairvaux, dem er den Text ja zuwies, um eine Autorität handelt, die für sich
genommen bereits eine außerordentliche Normativitätsressource darstellte: Wer
mit dem Zisterzienserabt argumentierte, konnte prinzipiell nicht falsch liegen.470
Das Pikante war nur, dass Palanco sich mit seiner Argumentation ausgerechnet
auf jenen Text stützte, der nicht von Bernhard stammte. Hätte er sich statt auf
den Traktat auf Bernhards Predigt Vom vierfachen Gewissen berufen, wäre dies
gerade keine Stütze seiner Beweisführung gewesen, insofern die Ruhe des
schlechten Gewissens hier ja gerade nicht als Ausdruck von Bosheit, sondern
vielmehr von Unwissenheit beschrieben ist.471 Palancos Argumentation mit
,Bernhard‘ gegen Bernhard ist nicht zuletzt deshalb so aufschlussreich, weil
sie die Deutungsmöglichkeiten des Viererschemas in besonderer Weise nicht nur
hervorhebt, sondern diese zugleich miteinander konfrontiert.
470 Entsprechend zog Palanco seinen ,Bernhard‘ auch als Autoritätsverweis heran, um mit Hil-
fe des Liber de conscientia zu demonstrieren, dass es eine Heilsgewissheit nicht geben könne.
Dabei gibt er nicht wörtlich, aber in deutlicher Anlehnung die dort entwickelten Gedanken
wieder: „[...] utilissime inferes, quanto timore quantaque humilitate vivere debeamus coram
Deo, de nobis ipsis suspecti, licet de Dei benignitate confidentes. Quis enim seit an sit dignus
odio vel amore? Quis autem se ipsum iustificare audeat, etiam in opere, de cuius malitia nihil
sibi conscius est, quando Apostolus ipse dicebat: Nihil enim mihi conscius sum, sed non in hoc
iustificatus sum. Ecce nec scrupulum, aut suspitionem malitia: habebat, et tarnen non proinde se
iustificat. [...] aiebat. Quod enim operor non intelligo, clare, nimirum, et patenter, sicut Deus,
qui scrutatur renes et corda, occultorum cognitor, et pertingens usque ad divisionem anima: ac
Spiritus. Ipse melius novit me quam ego me, eoque etsi evaserim iudicium hominum, et iudici-
um propria: conscientia:, non ob hoc me iustificatum puto, quia restat Dei iudicium, de quo
nescio, an deteget quod me lateat. Vide Bern. lib. de conscientia.“ Ebd., § 3.24, S. 104 b.
471 Vgl. hierzu oben S. 61.
 
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