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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0339
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338

6. Rezeptionen und Wirkungen

loue, weil der Christ auf ihm vorankommen, sich vom Ziel entfernen oder gar
verirren könne. Dieser Weg sei innerlich, wie es auch das Gewissen wäre; jeder
sei verpflichtet, ihn zu bereiten. Um aber vom Beschreiten des falschen Weges
abzuraten, wolle er warnen, so der Prediger, wie leicht man ein falsches Gewissen
erlange, wie gefährlich es sei, diesem zu folgen, und wie unnütz es schließlich
wäre, seine Sünden mit einem falschen Gewissen zu entschuldigen.477
In aller Ausführlichkeit werden nun von Bourdaloue - bereits unter Bezug
auf ,Bernhard* - die Abgründe des falschen Gewissens geschildert: die Verstri-
ckungen des Menschen in Laster und Sünde, die ihren Gipfel in einer sie beglei-
tenden Friedlichkeit des Gewissens hätten. Das falsche Gewissen sei gleichsam
der Ursprung aller Sünden: „Hier, fährt der heilige Bernhard fort, werden die
Ungeheuer gezeuget“ („Car c’est lä, poursuit saint Bernard, oü s’engendrent les
monstres“), so Bourdaloue, der damit die conscientia ebenfalls zur handlungs-
leitenden Instanz erklärte: Das falsche Gewissen bewerte nicht allein sündhaftes
Tun, sondern aus ihm erwachse das Böse: Neid, Missgunst, Hass, üble Nachrede,
Verleumdung, Treulosigkeit und überhaupt alle Sünde würden in ihm entstehen
und bei einem falschen Gewissen überdies „ungescheut und ganz ruhig“ („hardi-
ment et tranquillement“) begangen.478 Deutlich wird: ein solches falsches Gewis-
sen „macht, formt, erzeugt jeder Einzelne aus eigener Kraft in sich“.479
Dieses habe, fährt er fort, Bernhard herausgestellt, der nämlich „meine Ge-
danken in ein Licht setzen wird“, so Bourdaloue, um mit eben diesen Gedan-
ken fortzufahren:
„Er unterscheidet viererley Arten des Gewissens von einander: Das gute, ruhige, und
friedliche; das gute, welches gequälet und beunruhiget wird; das böse, welches sich
in Unruhe und Verwirrung befindet; und das böse, welches Ruhe und Frieden ge-
nießt. Nun höret einmal, was er hiervon sagt. Ein ruhiges und friedliches Gewissen
ist, spricht er, ohne Streit ein vorläufiges Paradies. Ein gutes Gewissen, das gequälet

le pecheur. Cette voie süre et infaillible qui conduit ä la vie, c’est la conscience exacte et timoree
que se fait l’homme chretien.“ L. Bourdaloue, Sermon pour le troisieme dimanche de l’avent,
S. 146; „Diese Wege des Herrn, die wir bereiten sollen, sind unsere Gewissen. Die geraden und
ebenen Wege, die wir gehen sollen, um uns in den Stand zu setzen, Jesum Christum zu empfan-
gen, sind unsere nach dem göttlichen Gesetze eingerichteten Gewissen. Die krummen Wege,
die wir wieder gerade machen sollen, sind unsere verkehrten und durch die falschen Grundsät-
ze der Welt verderbten Gewissen. Der betrügliche Weg, der zum Tode führet, ist das blinde und
irrende Gewissen, welches sich der Sünder macht. Der sichere und untrügliche Weg, der zum
Leben führet, ist das richtige und furchtsame Gewissen, das sich der Christe macht.“ Ders.,
Adventspredigten, 4. Predigt, S. 130.
477 Ders., Sermon pour le troisieme dimanche de l’avent, S. 146.
478 Ebd., S. 173-5. Ders., Adventspredigten, 4. Predigt, S., S. 154-6.
479 R. Lindemann, Der Begriff der conscience, S. 93.
 
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