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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0344
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6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

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die zeitgenössische Theologie werden nachfolgend die beiden Kerker diskutiert.
Deren Funktion sei abhängig von ihrer Verortung, so der Karmelit: Im diesseitigen
Leben dienten sie der auf das Jüngste Gericht vorbereitenden Prüfung des Men-
schen - nur deshalb sei auch Petrus, das Haupt der Kirche, in Haft genommen
worden -498, im jenseitigen aber die Wiedergutmachung (satispassio) vor Gott.499
Auf das Gewissen kommt Leon im Zusammenhang seiner Frage zu spre-
chen, ob es auch im „carcer civilis“ zu jenen Gewissensbissen komme, die er im
„carcer criminalis“ als selbstverständlich voraussetzt. Werden, so seine Frage in
zeittypischer Drastik, analog zu den Seelen jener in die Hölle Verdammten,
auch die derjenigen vom Wurm des Gewissens angenagt, die sich im Purgato-
rium befinden?500
Der folgende Argumentationsgang zu ihrer Beantwortung ist wesentlich dem
hier wiederum Bernhard von Clairvaux zugeschriebenen Traktat Von den vier
Arten der Gewissen entlehnt. ,Bernhard‘ sage nämlich, dass es vier Arten des
Gewissens gebe: gut und ruhig, weder gut noch ruhig, ruhig, aber nicht gut und
gut, aber nicht ruhig. In der gegenüber dem Referenztext leicht veränderten Rei-
henfolge werden dann nachfolgend auch die einzelnen Typen diskutiert: Gut und
ruhig sei das Gewissen der Seligen und all jener, die das Fleisch und ebenso den
eigenen Willen dem Geist unterworfen hätten; sie würden den ungestörten gött-
lichen Frieden ohne jeden Gewissensbiss genießen. Eine Antwort auf die Frage,
ob die Seele im Fegefeuer Gewissensbisse leide, war mithin von der Betrachtung
dieses bestmöglichen Gewissens nicht zu erwarten - schlicht, weil die Seelen der-
jenigen, deren Gewissen ruhig und überdies gut sei, sich nicht an diesem Ort be-
finden würden. Ein solches Gewissen sei bereits in Liebe mit Gott vereint.501
captivi diaboli.“ Im carcer purgatorii hingegen seien: „[...] captivac et vinctac detinentur animas,
Regis Regum magis intimac, et familiäres, a Monarcha coelesti dilectac, acquales Beatris, paris
nobilitatis, cum filiis Principis, triumphantibus in coelo [...].“ Leon de Saint-Laurent, Sermo-
nes de Carcere purgatoru, Sermo II.2, S. xv a-b.
498 „Petrusne Ecclesia: caput, cui concredita: erant oves Christi, in carcere? Sic solet Deus suos
probare in hac vita, ut parcat in altera Ebd., Sermo IIA, S. xiv a.
499 „Habet Deus carcerem, in quo post hanc vitam captivas servat animas justas, sanctas, sponsas
suas ob contracta hic debita, donec per satispassionem [...] aut viventium satisfactionem Di-
vinse justitite satisfecerint.“ Ebd., S. xiv b.
500 „An in hoc carcere civili detur remorsus conscientia:, sicut in criminali? An animas Purgantes
hic vermis rodat, sicut damnatos in inferno?“ Ebd., Sermo II.9, S. xxi a. Zur Metapher vom
,Gewissenswurm‘ vgl. D. Lau, Vermis conscientiae.
501 „S. Bernardus, Lib. de Conscientia dicit, quatuor dari conscientias: Conscientia, alia est bona et
tranquilla; alia nec bona nec tranquilla; alia tranquilla, sed non bona; alia bona, sed non tran-
quilla. Bona et tranquilla, est conscientia Beatorum, et omnium illorum viventium, qui subjecta
carne spiritui et propria voluntate, divina fruuntur pace imperturbabili, sine ullo remorsu, quod
Deum offenderint. Talis conscientia non est in Purgatorio: quia licet per charitatis unionem cum
Deo Leon de Saint-Laurent, Sermones de Carcerepurgatorii, Sermo II.9, S. xxi b.
 
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