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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0359
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358

6. Rezeptionen und Wirkungen

auf die Frage zu sprechen, warum denn Christus trotz des Sturms ruhig schlafen
konnte: Christus schlief, wie der Evangelist Markus bezeugt hätte, „auf einem
Kopff-Kiß, oder Polster“572 - ein Gegenstand, der dem Prediger nun zu breiter
Auslegung dient. Von den vielen Deutungen des Kopfkissens, die er seinen Le-
sern vor Augen führte, vermochte ihn jedoch nur eine völlig zu überzeugen: jene
nämlich, die im Kissen Christi dessen Gewissen erkannte.573 Und damit war
Nieberlein, wie er kundtat, bei seinem eigentlichen Gegenstand:
„Geliebte! ich habe mithin Anlaß, und Ursach von dem Gewissen heut was mehrers
zu reden. So mache ich derohalben der Predig den allgemeinen Vortrag also: Gewis-
sens Ruhe, und Unruhe.“574
Nieberlein kannte den Traktat Von den vier Arten der Gewissen, denn er bezog
sich gleich im Anschluss auf ihn und das Bild vom Gewissen als ma,re magnum.
Er deutete dieses jedoch nachfolgend unkonventionell und durchaus in gewisser
Kontradiktion zur Referenzmetapher: Für ihn versinnbildlichte das Meer die
Sünder und die in ihm lebenden Tiere deren böse Gewissen.575 Zur Erinnerung:
Im Traktat stand das Meer selbst für das Gewissen und die in ihm lebenden Tiere
für jene Gedanken, die es zu einem guten oder - weitaus häufiger - zu einem Ort
des Schreckens werden ließen.576
Dabei stand für Nieberlein die zentrale Rolle des Gewissens für den Men-
schen fest. Im Gegensatz zu den meisten anderen hier vorgestellten Autoren
bestimmte er die Funktion des Gewissens grundsätzlich in Abhängigkeit von
dessen moralischer Qualität: Zentrale, weil höchste und letzte Entscheidungs-
instanz im Menschen konnte seiner Ansicht nach ausschließlich ein gutes Gewis-
sen sein. Einem schlechten Gewissen hingegen sprach Nieberlein diese Aufgabe

572 J. A. Nieberlein, Sermones utiles, Predigt IX, S. 55 a.
573 Es folgt eine wahre Eloge auf das Kissen: „Gar trefflich wohl, und gut ausgelegt, das gute Ge-
wissen ist der jenige Polster, auf welchem der liebste Herr so sanfft schlaffet, wan auch alles
unter über sich gehen will. O Polster! welcher Kayser wird dich vermögen mit Geld zu bezah-
len? Niemand vermag ihn mit Geld zu kauffen: das ist wahr, aber gleichwohl müssen ihn alle
haben; dan ohne disen Polster kan niemand Schlafen.“ Ebd., S. 55 b.
574 Ebd.
575 „Das Gewissen, sagt der H. Bernardus, ist ein grosses weites Meer, in welchem unzahlbar vil
Thier umbkriechen, und umbschwimmen: Conscientia hominis est quasi mare magnum et spa-
tiosum, ubi reptilia, quorum non est numerus. Klar genug geredt, das Meer seynd die Sünder,
und die Ungestimme deß Meers ist das böse Gewissen, dises kan nit ruhen [...].“ Marginal gibt
er hierzu an: „S. Bernard. tract. de conscientia cap. I. mihi tom. 5, fol. 315“ Ebd., Predigt IXA,
S. 55 b.
576 Vgl. De quattuor modis conscientiarum, cap. 1, oben S. 180.
 
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