Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0363
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
362

6. Rezeptionen und Wirkungen

Chrysostomus Wieser, seit 1716 Abt des niederösterreichischen Zisterzi-
enserstifts Lilienfeld, hatte diese 1736 im Druck erschienenen Predigten vom
,Höchsten Wissen*, der Selbsterkenntnis, nach eigenem Bekunden zunächst im
Rahmen seines Hauses gehalten, bevor er sie der Öffentlichkeit übergab.589 Wann
und über welchen Zeitraum hinweg die Predigten entstanden sind, bleibt unklar,
doch liegt es nahe, erste Skizzen bereits in die Zeit ab 1698 zu datieren, als Wie-
ser das Amt des Novizenmeisters in Lilienfeld übernommen hatte.590 Diese Ver-
ortung der Predigten innerhalb der Unterweisung des Ordensnachwuchses bie-
tet auch eine gute Erklärung für den Umstand, dass Wieser in ihnen nicht nur ein
zentrales Kapitel der Regel auslegte, sondern dass in den Predigten in großem
Umfang auch Texte von Autoritäten, insbesondere aber solche der Zisterzienser-
väter, eingefügt sind.
Dies trifft in besonderer Weise auch auf die hier im Zentrum stehenden drei
Predigten zur fünften Stufe der Demut zu, in denen vom Bekenntnis gehandelt
wird.591 Bereits die erste Predigt dieser Dreiergruppe, Von den verschiedenen
Gedanken, den zu fördernden und den zu meidenden (De cogitationibus variis,
vel fovendis, vel rep eilen dis), verweist auf ein zentrales Motiv des Traktats Von
den vier Arten der Gewissen 592 Und so kann es vor dem Hintergrund von
Wiesers Gepflogenheit, in den Scientia scientiarum große Textabschnitte als
Zitate einzubauen, kaum überraschen, wenn er auch die entsprechenden Passa-
gen fast vollständig zitiert.593 Auch er greift dabei auf die oben vorgestellte
Langfassung (L) des Textes zurück, wie sie in sämtlichen Ausgaben bis ins
17. Jahrhundert enthalten ist.594
Während Wieser mit der zweiten Predigt seiner Trias zum Bekenntnis den
Beichtenden zur Aufrichtigkeit in seiner Offenbarung gegenüber dem Oberen
anzuhalten suchte („Suadetur Religioso sincera seu manifestatio coram Abbate,
vel medico spirituali“), war die dritte vollständig Fragen des Gewissens gewid-
589 So bereits auf dem Titel des Drucks vermerkt: „Sex et triginta sermonibus in Capitulo ex more
habitis, olim privatim Campililiensibus suis exposuit, nunc vero Sacra: Cisterciensium militia:
in toto vicariatu Austriaco publice scrutandam proponit Chrysostomus Chr. Wieser,
Scientia scientiarum. Vgl. auch das Vorwort von Wieser.
590 Vgl. hierzu seine Ausführungen „Ad amicum lectorem“. Ebd., [lr-v]. Zur Datierung seiner Zeit
als Novizenmeister vgl. E. Müller, Profeßbuch Lilienfeld, n° 1461, S. 259.
591 „Sermo V: Docet cogitationum, et operum humilem confessionem tum Sacramentalem, tum
non Sacramentalem.“ Chr. Wieser, Scientia scientiarum, S. 150.
592 Vgl. hierzu oben im Kapitel 4.5 b).
593 „Cogitationes alia: onerosa: [...] distendantur in ea. Cogitationum vero multiplex [...] via justi-
tia: per gratiam Dei. Amen. [...] His omnibus cogitationibus [...] in vinculo pacis.“ Chr. Wie-
ser, Scientia scientiarum, Sermo VI, S. 154-6. Wieser schließt sogar mit dem Ausruf „Ha:
conscientia:, ha: cogitationes conscientiarum, hi spiritus loquentes in cogitationibus nostris,
Religiosi commilitones!“, obwohl er vom Gewissen noch gar nicht gehandelt hatte.
594 Vgl. hierzu oben den Abschnitt 4.2 a).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften