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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0364
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6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

363

met. Seine Hauptquelle stellte hier De quattuor modis conscientiarum dar; die
entsprechenden Auszüge des Textes nehmen fast die Hälfte der gesamten Predigt
in Anspruch.
Man wolle, so spricht Wieser sein Publikum an, aus den Quellen des honig-
fließenden Lehrers schöpfen, um mit seiner Hilfe die Tiefen des Ozeans auszulo-
ten, als der das menschliche Gewissen zu verstehen sei.595 Und dies tut er im
Folgenden auch: ,Bernhards‘ Traktat De conscientia wird umfänglich und wört-
lich zitiert; es fehlen ausschließlich die einleitende Anrede und der Schlussteil des
Brieftraktats. Die Abschnitte über die Arten der Gedanken waren, wie eben be-
merkt, ja in einem vorangehenden Kapitel ebenfalls bereits zitiert worden.596 Ab-
gesehen von der Rahmung präsentierte Wieser seinem Publikum den gesamten
Traktat, der damit fast vollständig ins Medium der Predigt übertragen wurde.
Doch, so schloss der Zisterzienser seine Wiedergabe des Textes: Könne das
Gegebene bereits die Schlussfolgerung sein? Welche Lehren für die Sitten wären
hieraus zu ziehen, um die fünfte Stufe der Demut zu ersteigen? Gewiss sei hier
nichts anderes zu finden, als was die Regel vorschreibe: nämlich alle schlechten
Gedanken, die sich ins Herz geschlichen hätten, und alles Schlechte, das man
heimlich begangen hätte, demütig seinem Abt zu bekennen. Einzig eine gute
Beichte nämlich sorge für ein gutes Gewissen.597
Dies ist eine durchaus bemerkenswerte Folgerung: Wieser hielt den Traktat
damit offensichtlich für geeignet, um seinem Publikum Wissen über das Gewis-
sen zu vermitteln. Für Fragen nach den aus diesen Beschreibungen zu ziehenden
Konsequenzen hingegen, für solche nach dem Tun oder Lassen, die zu einer con-
scientia bona führten, nach dem, was dem Menschen helfen konnte, sein Gewis-
sen und damit sich selbst zu bessern, nach dem Erlernen von Techniken, die dem
Menschen dabei helfen konnten, sich selbst zu erkennen, war der Text seiner
Einschätzung nach jedoch nicht ausreichend.
An dieser Stelle, an der es darum gehen musste, den Bezug zur Gewissens-
erforschung und Beichtpraxis herzustellen, schien es ihm nötig und geraten, wei-
tere Texte heranzuziehen, die genau diese Lücke füllen konnten. Und es kann
nicht verwundern, dass seine Wahl hier auf De interiori domo fiel, zielen die
595 Chr. Wieser, Scientia scientiarum, Sermo V.3, S. 180.
596 „Conscientia: humana: abyssum bene noverat [...] novit omnia, et omnium rationes.“ „deficit
ergo Apostolus scrutans scrutinio [...] sordescat adhuc, et justus justificetur adhuc.“ Ebd.,
S. 180-6.
597 „Ast qua: ex his conclusio finalis? qua: doctrina: morales erunda:? ut quintum humilitatis gra-
dum cum utilitate possideamus? profecto nil aliud concludendum, ac eruendum, quam quod
Rectissima Regula vita: pra:cipit Benedictus: ut omnes cogitationes malas cordi nostro adveni-
entes, vel male a nobis absconse commissa per humilem confessionem, more Ordinis jam recep-
to ab Abbate constitutis in foro interno Judicibus non celemus nostris [...] Una bona confessio
fach conscientiam bonam.“ Ebd., S. 186.
 
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