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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0367
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366

6. Rezeptionen und Wirkungen

heimnisse andernfalls keine solchen wären. In der Heiligen Schrift sei nun einmal
vieles, was nur geglaubt werden könne. Wenn es in anderen Religionen keine
Unfassbarkeiten gebe, sei dies auf Absurditäten und offensichtliche Widersprü-
che zurückzuführen. Es sei nämlich, wie der heilige Bernhard in der Predigt
Vom vierfachen Gewissen sage, ein Gewissen gut und nicht ruhig, ein anderes
ruhig und nicht gut, eines weder ruhig, noch gut und eines gut und ruhig. Jene
aber, die Bayle erwähne, hätten doch, wenn sie auch vielleicht manchmal ein
ruhiges Gewissen besäßen, doch niemals ein gutes, so wie es verlangt würde.607
Diese Zurückweisung ist dahingehend bemerkenswert, als Pierre Bayle mit
seinen Bestimmungen der conscientia zunächst durchaus in der Tradition des
Thomas von Aquin stand.608 Spätestens jedoch nachdem er 1687 in Reaktion auf
die Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahr 1685 durch Ludwig XIV. seinen
Commentaire philosophique sur ces paroles de Jesus-Christ „Contrains-les
d’entrer“ veröffentlicht hatte, musste Bayle ob seiner Kompromisslosigkeit in
Gewissensfragen für die Orthodoxie - sei es die katholische, sei es die refor-
mierte - als Außenseiter gelten.609
Für Bayle resultierte gerade aus der Sakralität des Gewissens als jenes Ortes,
an dem der Mensch Gott empfing, das Prinzip, eben dieses Gewissen nicht durch
Zwang bedrücken zu dürfen.610 Während für ihn der Mensch in jedem Fall ver-
pflichtet war, seinem Gewissen zu folgen, erschien eine solche Sicht für Cerboni
unannehmbar. Wenn der Dominikaner betonte, dass ein ruhiges Gewissen nicht
notwendig gut sei,611 stand für Bayle fest, dass nur ein ruhiges überhaupt gut sein
konnte. Die Ruhe des Gewissens aber resultierte für den Franzosen aus dessen
Freiheit - vermeintlich objektive Kriterien, wie Cerboni sie anzulegen suchte,
konnten für Bayle nie alleiniger Maßstab sein.612

607 „Mysteriorum autem nostrac Religionis evidentiam et non habemus, et repugnat, ut habeamus,
alioquin mysteria non essent. [...] Quac vero in Sacra Scriptura continentur non ea de caussa
divinitus revelata esse dicimus, quia multa eorum sunt supra rationem, sed ideo ea etiam, quas
sunt supra rationem, a nobis credenda firmissimeque tenenda esse affirmamus, quia divinitus
revelata esse a nemine sanas mentis dubitari potest. Absurditas vero, et manifesta contradictio
faciunt, ut etiam apud alias Religiones nonnulla incomprehensibilia sint [...] Est autem, uti ait
S. Bernardus de Diversis Sermone 112. ,Conscientia alia bona, et non tranquilla, alia tranquilla,
et non bona: alia nee tranquilla, nee bona, alia bona, et tranquilla‘. li vero omnes, quos Baclius
commemorat, etsi fortasse aliquando conscientiam tranquillam habeant, bonam tarnen nunquam
habebunt, sicuti ad vitac commendationem requiritur.“ Ebd., S. 346.
608 Vgl. H. Reiner, „Gcayzssen“, Sp. 585; Y. Bizeul, Pierre Bayle, S. 87
609 Vgl. Y. Bizeul, Pierre Bayle, S. 69 und passim.
610 Vgl. ebd., S. 86f.; N. Stricker, Die maskierte Theologie, S. 192-6.
611 Vgl. eben, Anm. 607.
612 Zur Bindung des Gewissens an Gott und allgemeine moralische Prinzipien bei Bayle vgl.
N. Stricker, Die maskierte Theologie, S. 206-13.
 
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