6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen
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Ein solches Gewissen, das zur Sünde führt, repräsentiert jedoch nicht mehr die
Form eines nachfolgenden Gewissens (conscientia con- oder subsequens}, dem
die Funktion zukommt, das eigene Fühlen, Denken und Handeln zu prüfen und
zu beurteilen, sondern jene des vorausschauenden (conscientia antecedens}.
Durch diese von Thiebault ausdrückliche benannte Leitungsfunktion des Ge-
wissens, schreibt er der Konzeption der vier Gewissensarten damit eine neue
Orientierung zu: nämlich einen konsequent präzeptiven Bezug auf das Handeln
des Menschen zu haben.
Lebe der Mensch jedoch in einem Zustand des Irrtums, so verleite ihn sein
Gewissen auch „zu aller Gattung der Sünde“, da es, wie Thiebault in einem
zweiten Punkt seiner Ausführungen zum irrenden Gewissen herausstellte, „ein
unerschöpflicher Abgrund ist“622. Dieses bekannte und seit Augustinus’ Rekurs
in den Confessiones häufig bemühte Bild wird hier von ihm ausdrücklich mit dem
Namen Bernhards von Clairvaux in Verbindung gebracht.623 Offen muss
jedoch bleiben, ob er sich hier auf De quattuor modis conscientiarum oder aber
De interiori domo bezieht, in dem dieses Bild in Zuschreibung an Bernhard
ebenfalls enthalten ist;624 Thiebault kennt und zitiert beide Texte.
Schließlich kommt er zum dritten Punkt seiner Aussagen zum irrenden Ge-
wissen: der Feststellung, dass es nicht nur speziell (es verleitet in Sünde) oder
allgemein (es verleitet in jede Sünde) ins Verderben führe, wie in den ersten Punk-
ten dargelegt, sondern auch „daß es zum höchsten Grade der Sünde, zur letzten
Sünde, zu der Unbußfertigkeit verleitet, welche das Siegel und die Vollziehung
aller anderen Sünden ist“625. Als Beleg nun für diese Aussage dient ihm die Un-
terscheidung jener hier im Fokus stehenden Gewissensarten:
„[...] ich finde dessen die Probe in dem Unterschiede, welchen der heilige Bernhard
von zerschiedenen Gewissen des Menschen machet, höret, was er davon saget, und
erbauet euch je länger je mehr. Man kann, saget der heilige Abt, viererley Gewissen
unterscheiden; I. ein gutes, welches ruhig ist, und dessen Friede ein Vorgeschmack
desjenigen ist, den wir in dem Himmel genießen werden, ein solcher ist der Friede
des Gerechten, der mit dem heiligen Augustin sagen kann, ja, Herr! ich liebe dich,
622 Ders., Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 493. „un abime inepuisable“; Ders., Doctrine chre-
tienne, Bd. 6, S. 448.
623 „Ein weites und breites Meer, in welchem unzählige kriechende Thiere sind [...] Wie wohl zu-
treffend ist diese Vergleichung! saget der heilige Bernhard Ders., Christenlehrpredigten,
Bd. 6, S. 493. „[...] c’est une mer vaste et spacieuse, oü sont des reptiles sans nombre [...] Que
certe comparaison est juste! dit saint Berrnard.“ Ders., Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 448.
624 Vgl. oben S. 157f.
625 M. Fr. Thiebault, Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 495. „Ma troisieme est qu’elle porte au com-
ble du peche, au dernier des peches, ä l’impenitence finale qui est le sceau et la consommation
de tous les autres peches Ders., Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 450.
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Ein solches Gewissen, das zur Sünde führt, repräsentiert jedoch nicht mehr die
Form eines nachfolgenden Gewissens (conscientia con- oder subsequens}, dem
die Funktion zukommt, das eigene Fühlen, Denken und Handeln zu prüfen und
zu beurteilen, sondern jene des vorausschauenden (conscientia antecedens}.
Durch diese von Thiebault ausdrückliche benannte Leitungsfunktion des Ge-
wissens, schreibt er der Konzeption der vier Gewissensarten damit eine neue
Orientierung zu: nämlich einen konsequent präzeptiven Bezug auf das Handeln
des Menschen zu haben.
Lebe der Mensch jedoch in einem Zustand des Irrtums, so verleite ihn sein
Gewissen auch „zu aller Gattung der Sünde“, da es, wie Thiebault in einem
zweiten Punkt seiner Ausführungen zum irrenden Gewissen herausstellte, „ein
unerschöpflicher Abgrund ist“622. Dieses bekannte und seit Augustinus’ Rekurs
in den Confessiones häufig bemühte Bild wird hier von ihm ausdrücklich mit dem
Namen Bernhards von Clairvaux in Verbindung gebracht.623 Offen muss
jedoch bleiben, ob er sich hier auf De quattuor modis conscientiarum oder aber
De interiori domo bezieht, in dem dieses Bild in Zuschreibung an Bernhard
ebenfalls enthalten ist;624 Thiebault kennt und zitiert beide Texte.
Schließlich kommt er zum dritten Punkt seiner Aussagen zum irrenden Ge-
wissen: der Feststellung, dass es nicht nur speziell (es verleitet in Sünde) oder
allgemein (es verleitet in jede Sünde) ins Verderben führe, wie in den ersten Punk-
ten dargelegt, sondern auch „daß es zum höchsten Grade der Sünde, zur letzten
Sünde, zu der Unbußfertigkeit verleitet, welche das Siegel und die Vollziehung
aller anderen Sünden ist“625. Als Beleg nun für diese Aussage dient ihm die Un-
terscheidung jener hier im Fokus stehenden Gewissensarten:
„[...] ich finde dessen die Probe in dem Unterschiede, welchen der heilige Bernhard
von zerschiedenen Gewissen des Menschen machet, höret, was er davon saget, und
erbauet euch je länger je mehr. Man kann, saget der heilige Abt, viererley Gewissen
unterscheiden; I. ein gutes, welches ruhig ist, und dessen Friede ein Vorgeschmack
desjenigen ist, den wir in dem Himmel genießen werden, ein solcher ist der Friede
des Gerechten, der mit dem heiligen Augustin sagen kann, ja, Herr! ich liebe dich,
622 Ders., Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 493. „un abime inepuisable“; Ders., Doctrine chre-
tienne, Bd. 6, S. 448.
623 „Ein weites und breites Meer, in welchem unzählige kriechende Thiere sind [...] Wie wohl zu-
treffend ist diese Vergleichung! saget der heilige Bernhard Ders., Christenlehrpredigten,
Bd. 6, S. 493. „[...] c’est une mer vaste et spacieuse, oü sont des reptiles sans nombre [...] Que
certe comparaison est juste! dit saint Berrnard.“ Ders., Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 448.
624 Vgl. oben S. 157f.
625 M. Fr. Thiebault, Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 495. „Ma troisieme est qu’elle porte au com-
ble du peche, au dernier des peches, ä l’impenitence finale qui est le sceau et la consommation
de tous les autres peches Ders., Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 450.