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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0372
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6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

371

„Was kann man sich schlimmers und unglücklichem einbilden, als diese letzte Gat-
tung des Gewissens? In diesem besteht jedoch das irrige Gewissen, derjenige, den es
leitet, nennet bös, was gut ist, und gut, was bös ist; bitter, was süß, und süß, was
bitter ist; Finsternisse, was Licht ist, und Licht, was Finsternisse ist; er bricht ab, was
Gott aufbauet, und bauet auf, was Gott niederreißt; er flieht ferne von dem Herrn,
und der Herr flieht ferne von ihm; er rufet immerdar Frieden, und was er Frieden
nennet, ist in der That die erschrecklichste göttliche Rache über ihn [,..].“627
Ein falsches Gewissen ist somit - ganz in der Tradition des Traktats Von den vier
Arten der Gewissen, dem diese Passage entlehnt ist - Ausdruck einer fehlgeleite-
ten Erkenntnis und Konsequenz einer falschen Weltdeutung. Seine moralisch
falschen Urteile verweisen auf die verkehrte Wertordnung eines Menschen, des-
sen schlechtes Gewissen zugleich ruhig ist. Zugleich aber manifestiere sich in ei-
ner solchen irrigen Sicht auf die Welt, auch die Verlassenheit desjenigen, der irrt:
Er zähle zu den Verworfenen. Ein Mensch, dessen Gewissen schlecht und ruhig
zugleich ist, sei, so Thiebault, auf alle Zeit vom Heil ausgeschlossen.628
f) 19. Jahrhundert
Der bereits zuvor kaum eindeutige Begriff des Gewissens erfuhr im 19. Jahrhun-
dert eine Öffnung, mit der seine Varianz noch einmal erheblich erweitert wurde.
Auch die Fülle der Metaphern zu seiner Bezeichnung und die dem Gewissen zu-
gesprochenen Funktionen nahmen nun in ihrer Vielfalt weiter zu. Es gab Rück-
griffe, wie jenen auf die Bestimmung des Gewissens als Stimme Gottes im Men-

627 Ders., Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 496. „[...] que peut-on imaginer et de pis, et de plus
malheureux que cette derniere espece de conscience? ce sont cependant les traits qui caracterisent
la fausse, celui qu’elle guide appelle mal ce qui est bien, et bien ce qui est mal; amer ce qui est
doux, et doux ce qui est amer; tenebres ce qui est lumiere, et lumiere ce qui est tenebres; il detruit
ou Dieu bätit; et il bätit ou Dieu detruit; il fuit loin du Seigneur, et le Seigneur fuit loin de lui;
sans cesse il crie paix, et ce qu’il nomme paix est reffet de la vengeance divine sur lui la plus
terrible Ders., Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 451f. Vgl. oben De quattuor modis conscien-
tiarum, cap. 11.3, S. 196-201.
628 In Fortsetzung des Zitats der vorhergehenden Anm. ..] zur Zeit dieses vermeynten Friedens
überläßt ihn Gott seinem verworfenen Sinne, überliefert ihn der Blindheit des Verstandes und
der Verstockung des Herzens, er läßt ihn auf den Wegen des Fleisches und der Sünde wandeln,
welches das Stillschweigen des Herrn andeutet. [...] dieses Stillschweigen ist ein Zeichen der
Verwerfung M. Fr. Thiebault, Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 496f. „[...] c’est au mo-
ment de cette paix pretendue que Dieu l’abandonne ä son sens reprouve, qu’il le livre ä
l’aveuglement de l’esprit et ä l’endurcislement du coeur, qu’il le laisse marcher dans les voies de
la chair et du peche. C’est ce que signifie le silence du Seigneur. [...] ce silence est un signe de
reprobation Ders., Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 452.
 
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