6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen
373
wissen“ nämlich zu sein - stand diese Literatur noch klar im Widerspruch zur
neoscholastischen Tendenz einer „Verobjektivierung und Legalisierung der Sün-
denlehre“638, die gleichsam eine Renaissance der Kasuistik befördern sollte. Ge-
gen solche Bestrebungen richtete sich freilich auch deutlicher Widerstand.639
Parallel zur neoscholastischen THOMAS-Renaissance sind aber auch bereits
Anstrengungen erkennbar, das Erbe der monastischen Tradition, insonderheit
die Schriften Bernhards von Clairvaux, zu erschließen. Zwar kam es zu keiner
der Leonina vergleichbaren Neuausgabe seiner Werke, aber man bemühte sich
um Purifizierung seiner Schriften,640 es wurden Übersetzungen in Angriff
genommen641 und Biographien erschienen.642 ,Bernhard‘ selbst wurde dabei -
als der Prototyp des mittelalterlichen Mönches - zur Projektionsfläche einer teils
spirituell-verklärten, teils reaktionär-antimodernistischen Weltanschauung. All
dies hatte aber kaum nachhaltige Wirkung außerhalb genuin monastisch-klerikal
geprägter Diskurse. Die scholastischen Traditionen blieben für die Gewissens-
diskussion bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein dominierend, wenn
es darum ging, das geistige Milieu des Hohen Mittelalters herauszustellen.
Insofern kann es nicht überraschen, wenn die folgenden Beispiele für die Rezep-
tion des Motivs der vier Gewissensarten kaum den Geist des Neuen atmen, son-
dern jedes auf seine Weise als sehr konventionell erscheint. Zumindest aber sind sie
Belege dafür, dass dieses Konzept noch nicht in Vergessenheit geraten war.
Honore de Tuffet: Manuel de meditation
Im Jahr 1818 erschien bei Louvard und Aumont in Paris das Handbuch zur
Meditation des Abbe de Tuffet (f 1841); wie auch für die anderen von ihm ver-
öffentlichten Schriften, blieb der Erfolg dieses Manual offensichtlich begrenzt -
für keines seiner Werke ist eine Neuauflage oder gar Übersetzung nachweisbar.
Honore-Frangois-Xavier de Tuffet war nach militärischer Karriere im Corps
ascetische Belehrungen über das Gewissen, welche an die hl. Schrift und an Augustinische Ge-
danken anlehnen und vielfach durch Schönheit der Form und geistvollen Inhalt überraschen.“
H. Simar, Lehre vom Wesen des Gewissens, S. 4. An anderer Stelle zitierte er auch Bernhards
Predigt Vom vierfachen Gewissen aus der Sammlung De diversis'. Ebd., S. 22, Anm. 1.
638 O. Mochti, Das Wesen der Sünde, S. 326.
639 So formulierte Johann Baptist von Hirscher (f 1865) in Reaktion auf einen dieser kasuisti-
schen Versuche: „Und sollte die wahre Natur einer für die Besserung des Sünders zuträglichen
Gewissenserforschung nicht verloren sein, wenn man diese durch Sündentabellen zubefördern
hofft?“ zitiert nach: O. Mochti, Das Wesen der Sünde, S. 326.
640 So durch die seit 1835 erscheinenden Opera genuina-. BB nos 1978, 1987, 2108, 2218, 2361.
641 Vgl. oben S. 230-2.
642 Vgl. hierzu die Hinweise bei A. H. Bredero, Bernhard von Clairvaux, S. 147-50, 155-60, so-
wie M. Pacaut, Saint Bernard.
373
wissen“ nämlich zu sein - stand diese Literatur noch klar im Widerspruch zur
neoscholastischen Tendenz einer „Verobjektivierung und Legalisierung der Sün-
denlehre“638, die gleichsam eine Renaissance der Kasuistik befördern sollte. Ge-
gen solche Bestrebungen richtete sich freilich auch deutlicher Widerstand.639
Parallel zur neoscholastischen THOMAS-Renaissance sind aber auch bereits
Anstrengungen erkennbar, das Erbe der monastischen Tradition, insonderheit
die Schriften Bernhards von Clairvaux, zu erschließen. Zwar kam es zu keiner
der Leonina vergleichbaren Neuausgabe seiner Werke, aber man bemühte sich
um Purifizierung seiner Schriften,640 es wurden Übersetzungen in Angriff
genommen641 und Biographien erschienen.642 ,Bernhard‘ selbst wurde dabei -
als der Prototyp des mittelalterlichen Mönches - zur Projektionsfläche einer teils
spirituell-verklärten, teils reaktionär-antimodernistischen Weltanschauung. All
dies hatte aber kaum nachhaltige Wirkung außerhalb genuin monastisch-klerikal
geprägter Diskurse. Die scholastischen Traditionen blieben für die Gewissens-
diskussion bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein dominierend, wenn
es darum ging, das geistige Milieu des Hohen Mittelalters herauszustellen.
Insofern kann es nicht überraschen, wenn die folgenden Beispiele für die Rezep-
tion des Motivs der vier Gewissensarten kaum den Geist des Neuen atmen, son-
dern jedes auf seine Weise als sehr konventionell erscheint. Zumindest aber sind sie
Belege dafür, dass dieses Konzept noch nicht in Vergessenheit geraten war.
Honore de Tuffet: Manuel de meditation
Im Jahr 1818 erschien bei Louvard und Aumont in Paris das Handbuch zur
Meditation des Abbe de Tuffet (f 1841); wie auch für die anderen von ihm ver-
öffentlichten Schriften, blieb der Erfolg dieses Manual offensichtlich begrenzt -
für keines seiner Werke ist eine Neuauflage oder gar Übersetzung nachweisbar.
Honore-Frangois-Xavier de Tuffet war nach militärischer Karriere im Corps
ascetische Belehrungen über das Gewissen, welche an die hl. Schrift und an Augustinische Ge-
danken anlehnen und vielfach durch Schönheit der Form und geistvollen Inhalt überraschen.“
H. Simar, Lehre vom Wesen des Gewissens, S. 4. An anderer Stelle zitierte er auch Bernhards
Predigt Vom vierfachen Gewissen aus der Sammlung De diversis'. Ebd., S. 22, Anm. 1.
638 O. Mochti, Das Wesen der Sünde, S. 326.
639 So formulierte Johann Baptist von Hirscher (f 1865) in Reaktion auf einen dieser kasuisti-
schen Versuche: „Und sollte die wahre Natur einer für die Besserung des Sünders zuträglichen
Gewissenserforschung nicht verloren sein, wenn man diese durch Sündentabellen zubefördern
hofft?“ zitiert nach: O. Mochti, Das Wesen der Sünde, S. 326.
640 So durch die seit 1835 erscheinenden Opera genuina-. BB nos 1978, 1987, 2108, 2218, 2361.
641 Vgl. oben S. 230-2.
642 Vgl. hierzu die Hinweise bei A. H. Bredero, Bernhard von Clairvaux, S. 147-50, 155-60, so-
wie M. Pacaut, Saint Bernard.