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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0385
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384

6. Rezeptionen und Wirkungen

weder einer Gemeinschaft, noch einer Schule oder überhaupt einer geistigen
Strömung zuzuordnen waren, für deren Geschichte sie hätten herangezogen
werden können. Für eine Historiographie, die nicht zuletzt das Ziel einer Eigen-
geschichtsschreibung verfolgte, war dies kein attraktiver Zugang.682
Für die Würdigung dieser Art von Literatur bedurfte es zudem ganz offen-
sichtlich zunächst einer neuen Sensibilität, die die Forschung dazu befähigte -
ungeachtet aller kaum bestreitbaren Kontinuitäten und Traditionslinien - das
Neue, das seit den intellektuellen, spirituellen und pastoralen Umwälzungen im
Zuge der Kirchenreform an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert in Europa
entstanden war, zu erkennen und in eben dieser Neuheit herauszustellen.
Der wichtigste Initialtext, um die enorme Bedeutung dieser Zeit wieder ins Be-
wusstsein der Gegenwart zu rücken, war hier zweifellos Charles Homer Haskins’
1927 erschienene Arbeit über die Renaissance des 12. Jahrhunderts.683 Andere
folgten: Richard Southern mit seinem pointierten The Making of the Middle
Agesf84 Heinrich Fichtenau mit seiner dichten Abhandlung über Askese und
Laster685 oder Friedrich Heer mit seiner großen Studie über den Aufgang Euro-
pas686, um nur einige wenige und frühe Beiträge anzuführen. Kaum zu überschät-
zen sind die Arbeiten Jean Leclercqs, der profunde Textkenntnis mit analyti-
schem Weitblick verband.687 Ihnen ist gemeinsam, dass Religiosität als integraler
Bestandteil der mittelalterlichen Welt gedeutet und beschrieben wurde, und damit
religiöse Bedürfnisse ebenso wie ihre Ausdrucksformen als spezifische und wirk-
mächtige Aspekte der europäischen Geschichte Anerkennung fanden.
Mit der Feststellung, wie wichtig jene durchaus schon vor der scholastischen
Neuorientierung stattgefundenen Wandlungsprozesse für den kulturellen und
gesellschaftlichen Aufbruch der europäischen Kulturen waren, erfuhren auch
die monastischen Traditionen eine zunehmende Wertschätzung, die über eine
rein textgeschichtliche Behandlung des Materials hinausreichte. So erkannte
man für das 12. Jahrhundert die Herausbildung ethischer Konzepte, denen zu-
folge stets auch nach den Absichten zu fragen war, die einer Handlung zugrund-
682 Eine Ausnahme stellt hier die Arbeit von Haureau dar, der bereits zahlreiche nachweislich
nicht authentische Texte in seiner Studie zu den Werken Hugos von St. Viktor berücksichtigte:
B. Haureau, Les (Eueres de Hugues de Saint-Victor.
683 Zur Bedeutung und Wirkung vgl. M. L. Colish, Remapping Scholasticism, S. 2f. und jüngst v. a.
auch Th. F. X. Noble, Introduction.
684 Eine Würdigung dieser und auch späterer Arbeiten Southerns bei R. M. Thomson, Richard
Southern.
685 Vgl. zum Text Chr. Lutter, Emotionale Repertoires.
686 Zur Entstehung des Werkes und seiner Aufnahme vgl. E. Adunka, Friedrich Heer, S. 422-31;
W. Ed. J. Weber, „ Großartig“ - „gänzlich entbehrlich“, v. a. S. 220-32.
687 Vgl. die Bibliographie seiner Werke: M. Martin, A Bibliography.
 
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