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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0391
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7. Schlussbemerkungen

geschriebenen Traktaten hatten dazu beigetragen, dass im späten Mittelalter jeder
wusste, dass er ein Gewissen besaß - auch wenn vielleicht nicht jeder wusste, was
er hierunter zu verstehen hatte.
Als ein Stein auf dem Weg zur Verbreitung eines solchen Wissens vom Gewis-
sen ist auch das Konzept der quattuor modis conscientiarum zu verstehen. Ent-
standen im Zuge der religiösen Aufbruchsbewegungen des 12. Jahrhunderts, war
es schon bald außerhalb seines ursprünglichen Milieus präsent. Dabei fand es
Niederschlag in ganz verschiedenen textlichen Zusammenhängen und sprach ein
Publikum an, das eine innere Nähe zu ethisch-moralischen Fragen besaß, ohne
selbst einer vita regularis zu folgen.5
Die von Berndt Hamm begrifflich unter dem Stichwort der „Frömmigkeits-
theologie“ zusammengefassten Bemühungen um eine Vermittlung geistlicher
Ideale in den Bereich der Laien, hatten zu einer Intensivierung religiöser Prakti-
ken und damit auch von Beichte und Gewissenserforschung für breite Schichten
geführt.6 Neben die Gerechtigkeitsperspektive, „die den Gläubigen bei seiner
religiösen Leistungs- und Verdienstfähigkeit“ anzusprechen suchte, trat die von
Tröstung, Hoffnung und Barmherzigkeit, mit der eine auch unverdiente Gewis-
sensentlastung verbunden war.7 Gerade der Umstand, dass das Konzept der vier
Arten des Gewissens im Spätmittelalter nicht nur weitere Bearbeitungen erfuhr,
sondern überdies von bedeutenden Predigern herangezogen wurde, spricht da-
für, dass es sich bei ihm um einen wichtigen Baustein jener Frömmigkeitstheolo-
gie handelte. Zwar wäre es auf Grundlage der kaum repräsentativen Belege seiner
Frequenz seit dem 13. Jahrhundert, die hier zusammengetragen werden konnten,
unangemessen, ihm eine außergewöhnlich hohe Bedeutung zuzusprechen - den-
noch wird gerade an seinem Beispiel deutlich, in welcher Weise Texte - nicht
zuletzt auch indirekt und vermittelt - wirkten und welchen Konjunkturen dieses
Wirken unterliegen konnte.
Texte, wie die hier als Repräsentanten der primären Überlieferungschicht des
Gewissensmotivs vorgestellten, gewannen eine Funktionalität, die weit über jene
hinausreichte, die ihnen ursprünglich einmal zugedacht worden war. Zunächst
von religiösen Virtuosen für ebensolche entworfen, erfuhr das Konzept der vier
5 Die von Köpf als „gewisse allgemeine“ Einsicht formulierte Beobachtung, wonach „sich die
scholastische Theologie wie die Theologie der Mönche im Mittelalter vorwiegend auf das latei-
nische Originalwerk Bernhards beziehen (wichtigste Ausnahme: Epistola aurea), während die
religiösen Frauen und andere Laien, die nicht mehr Latein konnten, überwiegend sekundäre
und unechte Texte benutzten“, bedarf hier einer deutlichen Differenzierung. U. Köpf, Die
Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, S. 24f.
6 Vgl. hierzu neben den in Religiosität im späten Mittelalter gesammelten Arbeiten von Berndt
Hamm auch E. Schlotheuber, Norm und Innerlichkeit, S. 345-50.
7 Vgl. hierzu B. Hamm, Normative Zentrierung, S. 11.
 
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