7. Schlussbemerkungen
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Gewissensarten spätestens mit seiner Aufnahme in die Flores Bernardi eine Ver-
breitung, die den Bereich der frommen Elite rasch überschritt. Es wurde zu
einem Instrument, das helfen sollte, eine allgemein-gesellschaftliche Gewissens-
kultur zu etablieren, mit der Verhalten konditioniert und Affekte kontrolliert
werden konnten.
Das Schema der vier Arten des Gewissens war geeignet, für diejenigen, die
sich an ihm orientierten, als Maßstab eines gelungenen Lebens, als je persönli-
cher Indikator des eigenen geistlichen Fortschritts zu fungieren. Die bereits in
der Spätantike zu findende Verbindung von ,gut‘ und ,ruhig‘ als Ausdruck der
Qualitäten eines in höchstem Maße vollkommenen Gewissens8 wurde seit dem
12. Jahrhundert zur Chiffre eines Zustands höchstmöglicher Heilsgewissheit,
wie nicht nur die hier vorgestellten Traktate, Sentenzen und Predigten belegen,
sondern noch der Blick in zahllose Erbauungsschriften der Frühen Neuzeit
aufweist: Ein gutes und ruhiges Gewissen zu besitzen, war gleichbedeutend mit
einem Zustand der Seligkeit. Nicht nur entsprach das eigene Handeln den gel-
tenden moralischen Normen; zugleich war der Mensch sich dieser Konformität
auch bewusst und empfand keinerlei bedrückenden Zweifel. Wenn es auch
selten war, wie gerade der Traktat Von den vier Arten der Gewissen vermerkte
(S. 190, Z. 6f.) - ein solches gutes und ruhiges Gewissen war dennoch von
großer Bedeutung, weil es als heilsversprechendes Muster den Gläubigen vor
Augen gestellt werden konnte.
Aber auch das unruhige Gewissen blieb wichtig, weil es jenes Quantum an
Unsicherheit ins Spiel brachte, das der Einzelne in direkter Gottesbeziehung
nicht aufzuheben vermochte, und für dessen Beruhigung er die vermittelnde In-
stanz der Kirche benötigte. Die im 13. Jahrhundert vollzogene Qualifizierung
von Beichte, Reue und Buße zum Sakrament implizierte geradezu die Heils-
notwendigkeit auch einer Instanz, die primär außerhalb des Gewissens verortet
war: des Priesters nämlich, der durch das Abnehmen der Beichte das ,Haus des
Gewissens* eines jeden Gläubigen betreten sollte.9
Doch egal, ob nun ruhig oder unruhig, ob gut oder schlecht - das Gewissen
war in all seinen Ausprägungen und Schattierungen zu einem zentralen Bestand-
teil christlicher Lebenspraxis geworden. Jeder war gehalten, sich selbst zu prüfen,
sein Gewissen zu erforschen und aus den so gewonnenen Erkenntnissen die
nötigen Konsequenzen zu ziehen. So individuell wie das Leben eines jeden
Einzelnen würde nachfolgend auch das hierüber gefällte Urteil beim jüngsten
Gericht sein, das Auferstehung oder Verdammnis ankündigte. Im Gewissen
8 Vgl. oben S. 166.
9 S. R. Kramer, The Priest. Zum sakramentalen Charakter der Beichte vgl. M. Ohst, Pflicht-
beichte, s.v.
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Gewissensarten spätestens mit seiner Aufnahme in die Flores Bernardi eine Ver-
breitung, die den Bereich der frommen Elite rasch überschritt. Es wurde zu
einem Instrument, das helfen sollte, eine allgemein-gesellschaftliche Gewissens-
kultur zu etablieren, mit der Verhalten konditioniert und Affekte kontrolliert
werden konnten.
Das Schema der vier Arten des Gewissens war geeignet, für diejenigen, die
sich an ihm orientierten, als Maßstab eines gelungenen Lebens, als je persönli-
cher Indikator des eigenen geistlichen Fortschritts zu fungieren. Die bereits in
der Spätantike zu findende Verbindung von ,gut‘ und ,ruhig‘ als Ausdruck der
Qualitäten eines in höchstem Maße vollkommenen Gewissens8 wurde seit dem
12. Jahrhundert zur Chiffre eines Zustands höchstmöglicher Heilsgewissheit,
wie nicht nur die hier vorgestellten Traktate, Sentenzen und Predigten belegen,
sondern noch der Blick in zahllose Erbauungsschriften der Frühen Neuzeit
aufweist: Ein gutes und ruhiges Gewissen zu besitzen, war gleichbedeutend mit
einem Zustand der Seligkeit. Nicht nur entsprach das eigene Handeln den gel-
tenden moralischen Normen; zugleich war der Mensch sich dieser Konformität
auch bewusst und empfand keinerlei bedrückenden Zweifel. Wenn es auch
selten war, wie gerade der Traktat Von den vier Arten der Gewissen vermerkte
(S. 190, Z. 6f.) - ein solches gutes und ruhiges Gewissen war dennoch von
großer Bedeutung, weil es als heilsversprechendes Muster den Gläubigen vor
Augen gestellt werden konnte.
Aber auch das unruhige Gewissen blieb wichtig, weil es jenes Quantum an
Unsicherheit ins Spiel brachte, das der Einzelne in direkter Gottesbeziehung
nicht aufzuheben vermochte, und für dessen Beruhigung er die vermittelnde In-
stanz der Kirche benötigte. Die im 13. Jahrhundert vollzogene Qualifizierung
von Beichte, Reue und Buße zum Sakrament implizierte geradezu die Heils-
notwendigkeit auch einer Instanz, die primär außerhalb des Gewissens verortet
war: des Priesters nämlich, der durch das Abnehmen der Beichte das ,Haus des
Gewissens* eines jeden Gläubigen betreten sollte.9
Doch egal, ob nun ruhig oder unruhig, ob gut oder schlecht - das Gewissen
war in all seinen Ausprägungen und Schattierungen zu einem zentralen Bestand-
teil christlicher Lebenspraxis geworden. Jeder war gehalten, sich selbst zu prüfen,
sein Gewissen zu erforschen und aus den so gewonnenen Erkenntnissen die
nötigen Konsequenzen zu ziehen. So individuell wie das Leben eines jeden
Einzelnen würde nachfolgend auch das hierüber gefällte Urteil beim jüngsten
Gericht sein, das Auferstehung oder Verdammnis ankündigte. Im Gewissen
8 Vgl. oben S. 166.
9 S. R. Kramer, The Priest. Zum sakramentalen Charakter der Beichte vgl. M. Ohst, Pflicht-
beichte, s.v.