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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0051
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50 I Annick Peters-Custot

Tractatus in expositionem vite et regule Beati Benedicti:36 dieses Werk wurde
zwischen Ostern 1187 und Ostern 1188 kompiliert.37 Also in der Zeit, als Joa-
chim beschloss, seine Funktion als Zisterzienserabt von Corazzo in Kalabrien
aufzugeben, um in der bewaldeten Einsamkeit der Sila etwas Neues zu errich-
ten, nämlich die spätere Abtei von Fiore. In dieser theoretischen Abhandlung
steht der heilige Benedikt von Nursia ebenso für das Paradigma des Kloster-
gründers wie für das Ideal des Klosterlebens. Joachim benutzt Benedikts Bezie-
hungen zu seiner Schwester Scholastika, um die Situation der Elitemönche im
Verhältnis zu den anderen zu beschreiben: Die ersten, die in den unbequemen
Höhen der Berge durch reine Kontemplation das individuelle Heil erreichen,
müssen sich, wie Benedikt seiner Schwester gegenüber, um die schwächsten und
unfähigsten, unten gebliebenen Mönche sorgen. Das Paradigma zeichnet eine
Klassifizierung aus, an dessen Spitze die Mönche stehen, die für das eremitische
Leben geeignet sind und auf Askese und Kontemplation ausgerichtet sind - wie
in Benedikt symbolisiert. Während die zweite Gruppe, die von Scholastika ver-
körpert wird, nach dem anachoretischen Leben strebt, aber zu schwach ist, um
es zu realisieren. Dabei stellt Benedikt den kontemplativen Mönch dar, während
Scholastika den Zisterzienser-Orden verkörpert, als mediatrix zwischen Kano-
nikern, Klerikern und kontemplativen Mönchen. Joachim schöpft daher aus der
theoretischen Hierarchie der östlichen Tradition, aber auch aus der ursprüngli-
chen westlichen Tradition. Sein Bild des heiligen Benedikt verkörpert eher den
Mönch der Dialogi Gregors des Großen - der durch den Eremitismus gebildete
Asket, zu denen aus byzantinischer Sicht auch der heilige Benedikt38 als Verfas-
ser der Regula gehört.39 Nach diesen beiden östlichen und westlichen Traditio-
nen stellt Joachim von Fiore die kontemplative Ordnung an die Spitze, sowohl

36 loachim abbas Florensis, Tractatus in expositionem vite et regule Beati Benedicti, hg. von
Alexander Patschovsky (Istituto storico italiano per il Medio Evo. Fonti per la Storia
dell'Italia medievale 29), Rom 2008.

37 Guido Cariboni, Il Tractatus in expositionem vite et regule Beati Benedicti di Gioacchino
da Fiore. Problemi di datazione, in: Rivista di Storia della Chiesa in Italia 69,1 (2015), S. 3-20.

38 Olivier Delouis, Saint Benoit de Nursie ä Byzance, in: Interactions, emprunts, confronta-
tions chez les religieux, Antiquite tardive-fin du XIXe siecle. Colloque international des
Trente ans du CERCOR, hg. von Sylvain ExcoFFON/Daniel-Odon HuREL/Annick Peters-
Custot, Saint-Etienne 2015, S. 73-92; Annick Peters-Custot, Neilos the Younger and
Benedict: on the Greek hymns composed by Neilos in Campania, in: Greek Monasticism in
Southern Italy. The Life of Neilos in Context, hg. von Ines MuRZAKu/Barbara Crostini,
Aldershot 2018, S. 308-347.

39 Die Regula S. Benedicti erhöht unter den Mönchen die Eremiten als diejenigen, die im Kampf
gegen den koinobitischen Gehorsam ihren eigenen Willen aufgegeben haben und dazu be-
stimmt sind, ihre persönliche Freiheit direkt Gott zu überlassen, was ihnen erlaubte, voll-
kommen allein zu leben.
 
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