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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0345
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344 I Christina Lutter

Die Klosterneuburger Abbildung vom Beginn des 14. Jahrhunderts zeigt
also den Wiederaufbau des Himmlischen Jerusalem. Dieses konnte in der mit-
telalterlichen Exegese als Burg, als Stadt und als geistlicher Ort interpretiert
werden. Die Bedeutungen überlappten einander auch semantisch. Der Begriff
der civitas konnte in unterschiedlichen Zusammenhängen alle drei Räume be-
nennen - und auf einer Metaebene das dem irdischen Leben (der civitas terrena)
gegenüberstehende Reich Gottes, die civitas Dei. Ihr herausragender konzepti-
oneller Entwurf in nicht weniger als 22 Büchern stammt vom hl. Augustinus
aus dem 5. Jahrhundert.8 Mehr als sieben Jahrhunderte später schrieb der in
seiner Zeit ebenfalls außergewöhnliche Bischof, Abt und Historiograph Otto
von Freising eine Weltgeschichte mit dem Titel Chronica sive Historia de dua-
bus civitatibus, die als theologische Weiterführung jener des großen Kirchenva-
ters gedacht war. Ottos Vision der civitas Dei auf Erden war ein harmonisches
Miteinander von geistlicher und weltlicher Gewalt.9 Das ist kein Wunder, war
er doch Zeuge der jahrzehntelangen intensiv und oft kriegerisch geführten
Auseinandersetzungen zwischen beiden Gewalten, die mit dem Stichwort „In-
vestiturstreit" zusammengefasst werden und deren Parteiungen neben wirk-
mächtigen Reformen auch zu teils bürgerkriegsähnlichen Zuständen im rö-
misch-deutschen Reich führten.10

Floridus RÖHRIG/Gustav OTRUBA/Michael Duscher, Klosterneuburg 1992, S. 139-208, zu
den geistlichen Institutionen bes. S. 175-193.
8 Augustinus von Hippo, De civitate Dei. 2 Bde., hg. von Bernhard DoMBART/Alphons Kalb
(CCSL 47-48), Turnhout 1955; aus der enormen Forschungsliteratur siehe für die hier ange-
sprochenen Aspekte in zeitlich übergreifender Perspektive z. B. Hendrik Dey, The Afterlife
of the Roman City. Architecture and Ceremony in Late Antiquity and the Early Middle
Ages, Cambridge 2015; Federico Marazzi, Le citta dei monaci. Storia degli spazi che avvici-
nano a Dio, Milan 2014 und Dominique Iogna-Prat, Cite de Dieu, cite des hommes. L'Eglise
et 1'architecture de la societe 1200-1500, Paris 2016.
9 Ottonis episcopi Frisingensis, Chronica sive Historia de Duabus Civitatibus, hg. von Adolf
Hofmeister (MGH SRG in usum scholarum separatim editi 45), Nachdruck Hannover
1912. Immer noch grundlegend ist Hans-Werner Goetz, Das Geschichtsbild Ottos von Frei-
sing. Ein Beitrag zur historischen Vorstellungswelt und zur Geschichte des 12. Jahrhunderts,
Wien 1984, sowie jetzt Joachim Ehlers, Otto von Freising. Ein Intellektueller im Mittelal-
ter. Eine Biographie, München 2013.
10 Aus der kaum überschaubaren Literatur sei hier auf den rezenten Überblick von Claudia
Zey, Der Investiturstreit, München 2017 sowie auf Salisches Kaisertum und neues Europa.
Die Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs V., hg. von Bernd SCHNEIDMÜLLER/Stefan Weinfur-
ter, Darmstadt 2007, verwiesen; grundlegend für den Zusammenhang mit den monastischen
Reformbewegungen ist Giles Constable, The Reformation of the Twelfth Century, Cam-
bridge 1996, sowie Giles Constable, Religious Communities, 1024-1215, in: The New
Cambridge Medieval History, Bd. 4, c. 1024-c. 1198, Teil I, hg. von David LuscoMBE/John
Riley-Smith, Cambridge 2004, S. 335-367; vgl. außerdem European Transformations: The
Long Twelfth Century, hg. von Thomas F. X. NoBLE/John van Engen, Notre Dame 2012.
 
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