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Historische und historisch-literarische Keilschrifttexte aus Assur

nommen wurden außerdem die - im Prinzip natürlich sehr
interessanten - neuidentifizierten Fragmente historischer Epen
aus mittelassyrischer Zeit, in denen die Taten Adad-närärls I.,
Tukultl-Ninurtas I. und möglicherweise auch anderer Herrscher
gefeiert werden. 39 Diese zumeist stark beschädigten und schwer
lesbaren Stücke sollen zusammen mit den bekannten
Textvertretern der entsprechenden Werke an anderer Stelle ver-
öffentlicht werden.

Der vorliegende Band ist Teil einer Reihe, die den Titel
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts trägt. Wer Wert
auf Konsistenz legt, mag sich hiervon zunächst irritiert fühlen,
stellen doch „historisch" und „literarisch" nach landläufiger
Auffassung unterschiedliche Kategorien dar. Es liegt mir durch-
aus fern, die Verschiedenheit der beiden Begriffe an dieser
Stelle gmndsätzlich in Frage zu stellen. Doch darf wohl späte-
stens seit den 1970er Jahren als etabliert gelten, daß sich jedwe-
de Form von Historiographie durch ein gewisses Maß an
„Literarizität“ auszeichnet. Insbesondere die Forschungen
Hayden Whites haben gezeigt, daß Geschichtsschreiber die in
ihren Quellen gebotenen „Fakten“ in ihren historischen
Darstellungen nach Mustern kontextualisieren, wie sie aus der
Literatur bekannt sind - ein von White als „emplotment“
bezeichneter Vorgang. 40 Die Kriegsberichte assyrischer
Königsinschriften mit ihren oftmals festgefügten
Gliedemngsschemata lassen solche literarischen Bezüge deut-
lich erkennen. Sie beginnen nicht selten mit einer Schilderung
des durch gegnerische Schuld bedingten Konfliktausbmchs,
beschr eiben im folgenden den Zug des Königs gegen den Feind
sowie die sich anschließenden Kampfhandlungen und enden mit
Ausführungen über die Bestrafung und Ausplünderung des
Gegners und die Reorganisation seines Gebiets. Diese Abfolge
entspricht recht genau dem Aufbau vieler mesopotamischer
Mythen und Epen - etwa Lugal-e, Anzü oder Enüma elis -, in
denen ein göttlicher Held sich im Kampf mit chaosstiftenden
feindlichen Monstern bewähr en muß, um anschließend die Welt

meines Aufenthaltes in Assur im Frühherbst des Jahres 2001 abschreiben
durfte, sei hier jedoch kurz zumindest in Umschrift vorgestellt, da die Gefahr
besteht, daß sie in den Wirren des letzten Irak-Krieges verloren gegangen

ist. Der genaue Fundort des Stücks ist mir unbekannt. l’) [.mär GI]D ?-

rDI ?1- rDINGIR ?1 s[a '-ak-ni Enlil issi'ak Assur] 2’) [käsid mät Turukkt u mät
Nigimhi a-d]ipa Jaf gi- rinf-r[i-su gitnir malkt sadi u hursäni\ 3’) [pät Qati
rapalti ka-si-i\d' [KUR Ku-ut\-mu-hi ü n[a-gab resTsu\ 4’) [gunnü AhlatnT
Suti JürTu KUR.KUR-.v]u-n[u] mu-ra-pis [misrTu kudurrTmär mäiri sa Enlil-
närärf] 5’) [issi 'ak Assurma sa ummän Kassii-na-ru-m\a ü n[a-gab z\a-e-r[i-
su qässu iksudu\ 6’) [murappis misrT u kudurrT Itpltpi sa lAs\-sur-ü- rY\k'LPC
[sarri] dan-[ni sa sangüssu] T) [ina Ekur rasbi süturat u sulum LUGA]L-h-
su a-na ru-qa-[te kTma sadi kunnu] 8’) [museknis mät Musri museppih ellät\
KUR Su-ba-ri-i ra-p[al-ti murappis misrT u kudurrT\ 9’) [enüruaC?) dür(u)

(?) ... 5]a ? i-na pa-na I?x [.] 10’) [.] mu-la-su [.] ll’) [.] x [.].

Die Inschrift ist Adad-narari I. zuzuweisen. Die erhaltene Partie setzt sich
zusammen aus der als RIMA 1, 76.1 publizierten Standardeinleitung der In-
schriften dieses Königs (Z. l’-8’) und einem Baubericht, der möglicherweise
die Errichtung der Mauer der Neustadt von Assur behandelt. Nur der Anfang
des Berichts ist erhalten; er weist phraseologische Übereinstimmungen mit
der Tontafelinschrift RIMA 1, 76.10, Z. 35-39 auf, ohne jedoch mit diesem
Text vollständig übereinzustimmen. Wegen phraseologischer Ähnlichkeiten
ebenfalls zu vergleichen ist RIMA 1,76.24, ebenso wie wohl auch das vorlie-
gende Stück ein Tonknauffragment. Im einzelnen sind folgende Parallelen zu
verzeichnen: l’: // 76.1, Z. 18?; 2’: // 76.1,Z. 20; 3’: // 76.1, Z. 22; 4’: // 76.1,
Z. 24; 5’: // 76.1, Z. 26; 6’: // 76.1, Z. 28; 7’: // 76.1, Z. 30; 8’: // 76.1, Z. 32;
9’: vgl. 76.10, Z. 38; 10’: vgl. 76.10, Z. 39 und 76.24, Z. 2’. Es ist m. E. eher
fraglich, daß in Z. 3’ des letztgenannten Textes von einer Ziqqurrat die Rede
ist.

39 Zu diesem Material siehe vorläufig E. Weidner, AfO 20 (1963), 113-16, P.
Machinist, The Epic of Tukulti-Ninurta I (1978) und B. Foster, Before the
Muses 3, 298-317.

40 Für eine gute Zusammenfassung dieser Überlegungen siehe H. White, in:
C. Conrad - M. Kessel (Hrsg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne,
123-57.

neu zu ordnen, 41 und ist mit einiger Wahrscheinlichkeit von
solchen Texten inspiriert worden 42 Auch die jungbabylonische
Sprache, die, wie bereits ausgeführt, in den meisten assyrischen
Königsinschriften Verwendung findet, ist ein der literarischen
Tradition entnommenes Kunstmittel. Im Falle der sog. „histo-
risch-literarischen“ Texte, also Kompositionen wie etwa der
Sulgi- und Marduk-Prophetie 43 oder der Legenden über die
Könige von Akkad, 44 die Faktisches und Fiktives frei kombinie-
ren, ist die enge Verwandtschaft der Gattungen noch deutlicher.
Gar zu abwegig ist es also nicht, historisches Textmaterial in
einer „literarischen“ Texten gewidmeten Reihe zu publizieren.

Anmerkungen zur Anordnung der Texte

Für die Publikation historischer Texte bieten sich im Prinzip
zwei unterschiedliche Anordnungsprinzipien an. Zum einen
können die Texte nach Gattungen, und innerhalb derselben in
chronologischer Folge präsentiert werden. Es ist dieses
Anordnungsprinzip, das in den meisten Publikationen und auch
im vorliegenden Band zur Anwendung kommt. Sein wichtigster
Vorteil besteht darin, daß es historische Entwicklungen erken-
nen läßt - Entwicklungen im geschichtlichen Ablauf, der in den
Texten beschrieben wird, aber auch solche, die Form und
Darstellungsmodi der Texte selbst betreffen. Mit anderen
Worten: Das vertikal orientierte chronologische Anord-
nungsprinzip erlaubt uns zu verfolgen, wie die assyrischen
Regenten politisch, militärisch, ökonomisch und kulturell auf
neue historische Herausforderungen reagierten und wie der
assyrische Staat sich im Laufe der Zeit veränderte - und läßt uns
zugleich erfassen, auf welche Weise die „Ghostwriter“ der assy-
rischen Könige sowie andere mesopotamische „Historiographen“
ihre Darstellungen der Ereignisgeschichte in ihien Texten immer
wieder von neuem den sich wandelnden geistigen Bedürfnissen
der Zeit anpaßten.

Ein alternatives Anordnungsprinzip bestünde darin, die
Texte in erster Linie nach Fundorten, also etwa einzelnen
Bibliotheken oder Gründungsdepots, zu ordnen. Diese Methode
würde insbesondere im Fall der Bibliotheken die Möglichkeit
eröffnen, uns bis zu einem gewissen Grad die historischen
Horizonte spezifischer Epochen zu erschließen. Durch eine
Zusammenschau aller in irgendeiner Form historischen Texte
aus ein und demselben Fundkontext ließe sich ersehen, welche
historischen Ereignisse von den mit diesem Kontext verbunde-
nen Menschen studiert wurden, welche historischen Gestalten
ihnen bekannt waren, was für Vorstellungen sie von der
Chronologie der altorientalischen Geschichte hatten und welche
ideologischen Überzeugungen ihr Geschichtsbild prägten.

Das Textmaterial aus Assur bietet für die Beschäftigung mit
derartigen Fragestellungen nicht die schlechtesten
Voraussetzungen, da die Fundorte zahlreicher Texte bekannt
sind. Wenn hier dennoch von einer nach dem Fundkontext orga-
nisierten Präsentation der Texte abgesehen wird, dann vor allem
aus zwei Gründen: Erstens wäre ein entsprechendes Verfahren

41 Siehe S. M. Maul, in: K. Watanabe (Hrsg.), Priests and Officials in the An-
cientNear East, 201-14.

42 Besonders die Königsinschriften der spätassyrischen Zeit spielen darüber
hinaus nicht selten auf bestimmte Passagen aus epischen Texten an; für
Beispiele siehe E. Weissert, in: H. Waetzoldt - H. Hauptmann (Hrsg.),
Assyrien itn Wandel derZeiten, 192-97.

43 Siehe B. R. Foster, Before the Muses 3, 357-59, 388-91.

44 J. G. Westenholz, Legends ofthe Kings ofAkkad.
 
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