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Lexikalische Texte I, Teil 1
liehen Jahrhundert sumerische lexikalische Listen ganz selbst-
verständlich im Lehrbetrieb der syrischen Königsstadt Ebla ver-
wendet. die unweit von Aleppo und damit nahezu 1500 km weit
entfernt vom Sprachgebiet der Sumerer liegt. Aber nicht nur in
den Zentren Syriens und Palästinas, sondern auch bei den Hethi-
tern. den Elamem und selbst am Hof des ägyptischen Pharaos
Echnaton wurde das keilschriftliche Schreiben mit Tontafel und
Griffel anhand der sog. Lexikalischen Listen erlernt und geübt.
Auf diesem Weg wurden die mesopotamischen Kultursprachen,
das Sumerische und das Babylonische, über viele Jahrhunderte
im gesamten Vorderen Orient verbreitet und mit ihnen auch eine
von mesopotamischer Überlieferung geprägte Weitsicht.
Im 7. Jh. v. Chr. hatte der assyrische König Assurbanipal den
Auftrag erteilt, in seinem Palast das gesamte Schrifttum seiner
Zeit zusammenzutragen. Zweieinhalb Jahrtausende später war
man bei Ausgrabungen im antiken Ninive auf die Reste dieser
bis heute bedeutendsten Tontafelbibliothek gestoßen. Neben li-
terarischen Texten aller Art fanden sich dabei auch umfangrei-
che lexikalische Werke in großer Zahl. Ein Glücksfall für die
Altorientalistik! Denn Zeichenlisten und sumerisch-akkadische
Wörterbücher lieferten so den Pionieren des Faches in der Mitte
des 19. Jh. viele grundlegende Erkenntnisse über die Struktur
der Keilschrift und deren verwirrend komplizierte Schreibkon-
ventionen. Überdies eröffneten sie der jungen Assyriologie ei-
nen bequemen Zugang zum Wortschatz der mesopotamischen
Keilschrifttexte und zwangen schon früh zu der Einsicht, daß
neben dem Akkadischen - der semitischen Sprache von Baby-
loniern und Assyrern - im Alten Orient eine weitere bis dahin
gänzlich unbekannte Sprache eine große Rolle gespielt haben
mußte. Ohne die Kenntnis der lexikalischen Texte aus Ninive
wäre es wohl nicht gelungen, in der recht kurzen Zeit von weni-
gen Jahrzehnten die mesopotamische Keilschrift vollständig zu
entziffern und die seit Jahrtausenden vergessenen Sprachen des
Alten Orients wieder verständlich zu machen.
Die Ausgrabungen, die im Auftrag der Deutschen Orient-
Gesellschaft zwischen 1903 und 1914 in Assur durchgeführt
wurden, erbrachten wichtige neue Erkenntnisse über die lexi-
kalischen Überlieferungen Mesopotamiens. Die Textfunde aus
Assur machten deutlich, daß Zeichenlisten und sumerisch-akka-
dische Wörterbücher nicht nur im 7. Jh. v. Chr. abgeschrieben
und studiert worden waren, sondern eine sehr lange Geschichte
besaßen.2 Das Interesse an diesen Schriftzeugnissen war groß.
Schon bald nach Beendigung der Ausgrabung legten vor al-
lem Otto Schroeder,3 Bruno Meissner.4 Emst Weidner.5 Lubor
2 Abgesehen von sechs lexikalischen Texten aus altakkadischer Zeit
(siehe H. Neumann, „Assur in altakkadischer Zeit: Die Texte",
in: H. Waetzoldt, H. Hauptmann (Hrsg.), Assyrien im Wandel
der Zeiten. XXXIXe Rencontre Assyriologique Internationale,
Heidelberg 6.-10. Juli 1992. Heidelberg 1997 [HSAO 6], 133-138)
stammen alle in Assur gefundenen Zeichen- und Wortlisten aus
mittel- und neuassyrischer Zeit.
3 O. Schroeder, Keilschrifttexte aus Assur verschiedenen Inhalts,
WVDOG 35, Leipzig 1920 (siehe vor allem die Texte Nr. 28, 29,
65. 80. 81. 87. 88. 89. 90. 95. 137 und 183).
4 B. Meissner. „Ein Vokabularfragment aus Assur". AfK 1 (1921), 51-
53; ders., Beiträge zum assyrischen Wörterbuch I und II, Chicago
1931 und 1932; ders., „Studien zur assyrischen Lexikographie",
Teil I: MAOG l/II. Leipzig 1925. Teil II: MAOG 3/III. Leipzig
1929. Teil III: MAOG ll/I-II. Leipzig 1937; Teil IV: MAOG 13/11.
Leipzig 1940.
5 E. Weidner. „Das Vokabular Martin A". AfO 7 (1931/32). 271-275.
Matous6 und Wolfram von Soden7 Editionen und Studien zu die-
sen neuentdeckten Texten vor.
Mit dem Plan, eine „Gesamtausgabe der sumerisch-akkadi-
schen Vokabularien”8 zu schaffen, stellte der Leipziger Assyrio-
loge Benno Landsberger die Erforschung der lexikalischen Keil-
schrifttexte auf vollkommen neue Grandlagen. In seinen Mate-
rialien zum sumerischen Lexikon (MSL) sollten alle zugängli-
chen lexikalischen Texte erschlossen, kollationiert und in ihren
..Serienzusammenhängen”9 ediert werden. Für seine Vorarbeiten
konnte Landsberger - unterstützt von seinem Assistenten Lubor
Matous und mit Hilfe von Hans Ehelolf - „den reichen noch
unveröffentlichten Bestand des Berliner Museums ... in einem
Umfange ausschöpfen, der wohl nicht allzuweit von Vollständig-
keit entfernt ist.”10 In seine Textrekonstruktionen fanden so auch
zahlreiche noch unpublizierte Zeichen- und Wortlisten Eingang,
die man bei den Ausgrabungen in Assur entdeckt hatte. 1937,
zwei Jahre nach der barbarischen Vertreibung aus Deutschland,
die er in der Beschreibung seines bedeutenden Forschungs-
vorhabens nm „Dislokation”11 nannte, legte Landsberger den
in Ankara fertiggestellten ersten Band der Serie vor. Die vom
Päpstlichen Bibelinstitut in Rom verlegte Reihe Materialien zum
Sumerischen Lexikon wurde zwar erst nach dem Zweiten Welt-
krieg unter der Ägide von Benno Landsberger fortgesetzt. Doch
bis 1986 erschienen 17 Bände und ein Supplement des nunmehr
im Oriental Institute der Universität Chicago erstellten Werkes.
Vom zehnten Band an trägt Landsbergers Serie den englischen
Titel Materials for the Sumerian Lexicon (MSL). In nahezu allen
Bänden wurden Tontafeln aus Assur ausgewertet. Landsberger
und seine Mitarbeiter konnten für die Textrekonstruktion folgen-
der lexikalischer Werke auf veröffentlichte und unveröffentlich-
te Schriftzeugnisse zurückgreifen, die bei den Ausgrabungen in
Assur ans Licht gekommen waren:
ana ittTsu (MSL 1)
das Syllabar A, die Vokabulare Sa und Sb und vergleichbare
Texte (MSL 3)
das Emesal-Vokabularund die ..Neobabylonian Grammatical
Texts” (MSL 4)
ur5-ra = hubullu und mur-gud = imrü = ballu (MSL
5-11)
1 ü = sa und vergleichbare Texte (MSL 12)
die akrographisch organisierten zweisprachigen Wortlisten
i z i = isätu und KÄ.GAL = abullu (MSL 13)
e - a = A = näqu und ä = A = näqu (MSL 14)
diri = atru (MSL 15)
ü 1 u t i n = nabmtu (MSL 16)
erim-hus = anantu (MSL 17)
AfO 8 (1932/33). 54-56 und AfO 11 (1936/37). 357 mit den Tafeln
VII-VIII; siehe auch ders., „Die Bibliothek Tiglatpilesers L", AfO
16 (1952/53). 197-215.
6 L. Matous, Die lexikalischen Tafelserien der Babylonier und
Assyrer in den Berliner Museen I: Gegenstandslisten (Serie HAR-
ra = hubullu), Berlin 1933.
7 W. von Soden, Die lexikalischen Tafelserien der Babylonier
und Assyrer in den Berliner Museen II: Die akkadischen
Synonymenlisten. Berlin 1933.
8 So B. Landsberger. Materialien zum sumerischen Lexikon 1. Die
Serie ana ittisu, Rom 1937, 1*.
9 Ebd.. 2*.
10 Ebd.. 1*.
11 Ebd.. 3*.
Lexikalische Texte I, Teil 1
liehen Jahrhundert sumerische lexikalische Listen ganz selbst-
verständlich im Lehrbetrieb der syrischen Königsstadt Ebla ver-
wendet. die unweit von Aleppo und damit nahezu 1500 km weit
entfernt vom Sprachgebiet der Sumerer liegt. Aber nicht nur in
den Zentren Syriens und Palästinas, sondern auch bei den Hethi-
tern. den Elamem und selbst am Hof des ägyptischen Pharaos
Echnaton wurde das keilschriftliche Schreiben mit Tontafel und
Griffel anhand der sog. Lexikalischen Listen erlernt und geübt.
Auf diesem Weg wurden die mesopotamischen Kultursprachen,
das Sumerische und das Babylonische, über viele Jahrhunderte
im gesamten Vorderen Orient verbreitet und mit ihnen auch eine
von mesopotamischer Überlieferung geprägte Weitsicht.
Im 7. Jh. v. Chr. hatte der assyrische König Assurbanipal den
Auftrag erteilt, in seinem Palast das gesamte Schrifttum seiner
Zeit zusammenzutragen. Zweieinhalb Jahrtausende später war
man bei Ausgrabungen im antiken Ninive auf die Reste dieser
bis heute bedeutendsten Tontafelbibliothek gestoßen. Neben li-
terarischen Texten aller Art fanden sich dabei auch umfangrei-
che lexikalische Werke in großer Zahl. Ein Glücksfall für die
Altorientalistik! Denn Zeichenlisten und sumerisch-akkadische
Wörterbücher lieferten so den Pionieren des Faches in der Mitte
des 19. Jh. viele grundlegende Erkenntnisse über die Struktur
der Keilschrift und deren verwirrend komplizierte Schreibkon-
ventionen. Überdies eröffneten sie der jungen Assyriologie ei-
nen bequemen Zugang zum Wortschatz der mesopotamischen
Keilschrifttexte und zwangen schon früh zu der Einsicht, daß
neben dem Akkadischen - der semitischen Sprache von Baby-
loniern und Assyrern - im Alten Orient eine weitere bis dahin
gänzlich unbekannte Sprache eine große Rolle gespielt haben
mußte. Ohne die Kenntnis der lexikalischen Texte aus Ninive
wäre es wohl nicht gelungen, in der recht kurzen Zeit von weni-
gen Jahrzehnten die mesopotamische Keilschrift vollständig zu
entziffern und die seit Jahrtausenden vergessenen Sprachen des
Alten Orients wieder verständlich zu machen.
Die Ausgrabungen, die im Auftrag der Deutschen Orient-
Gesellschaft zwischen 1903 und 1914 in Assur durchgeführt
wurden, erbrachten wichtige neue Erkenntnisse über die lexi-
kalischen Überlieferungen Mesopotamiens. Die Textfunde aus
Assur machten deutlich, daß Zeichenlisten und sumerisch-akka-
dische Wörterbücher nicht nur im 7. Jh. v. Chr. abgeschrieben
und studiert worden waren, sondern eine sehr lange Geschichte
besaßen.2 Das Interesse an diesen Schriftzeugnissen war groß.
Schon bald nach Beendigung der Ausgrabung legten vor al-
lem Otto Schroeder,3 Bruno Meissner.4 Emst Weidner.5 Lubor
2 Abgesehen von sechs lexikalischen Texten aus altakkadischer Zeit
(siehe H. Neumann, „Assur in altakkadischer Zeit: Die Texte",
in: H. Waetzoldt, H. Hauptmann (Hrsg.), Assyrien im Wandel
der Zeiten. XXXIXe Rencontre Assyriologique Internationale,
Heidelberg 6.-10. Juli 1992. Heidelberg 1997 [HSAO 6], 133-138)
stammen alle in Assur gefundenen Zeichen- und Wortlisten aus
mittel- und neuassyrischer Zeit.
3 O. Schroeder, Keilschrifttexte aus Assur verschiedenen Inhalts,
WVDOG 35, Leipzig 1920 (siehe vor allem die Texte Nr. 28, 29,
65. 80. 81. 87. 88. 89. 90. 95. 137 und 183).
4 B. Meissner. „Ein Vokabularfragment aus Assur". AfK 1 (1921), 51-
53; ders., Beiträge zum assyrischen Wörterbuch I und II, Chicago
1931 und 1932; ders., „Studien zur assyrischen Lexikographie",
Teil I: MAOG l/II. Leipzig 1925. Teil II: MAOG 3/III. Leipzig
1929. Teil III: MAOG ll/I-II. Leipzig 1937; Teil IV: MAOG 13/11.
Leipzig 1940.
5 E. Weidner. „Das Vokabular Martin A". AfO 7 (1931/32). 271-275.
Matous6 und Wolfram von Soden7 Editionen und Studien zu die-
sen neuentdeckten Texten vor.
Mit dem Plan, eine „Gesamtausgabe der sumerisch-akkadi-
schen Vokabularien”8 zu schaffen, stellte der Leipziger Assyrio-
loge Benno Landsberger die Erforschung der lexikalischen Keil-
schrifttexte auf vollkommen neue Grandlagen. In seinen Mate-
rialien zum sumerischen Lexikon (MSL) sollten alle zugängli-
chen lexikalischen Texte erschlossen, kollationiert und in ihren
..Serienzusammenhängen”9 ediert werden. Für seine Vorarbeiten
konnte Landsberger - unterstützt von seinem Assistenten Lubor
Matous und mit Hilfe von Hans Ehelolf - „den reichen noch
unveröffentlichten Bestand des Berliner Museums ... in einem
Umfange ausschöpfen, der wohl nicht allzuweit von Vollständig-
keit entfernt ist.”10 In seine Textrekonstruktionen fanden so auch
zahlreiche noch unpublizierte Zeichen- und Wortlisten Eingang,
die man bei den Ausgrabungen in Assur entdeckt hatte. 1937,
zwei Jahre nach der barbarischen Vertreibung aus Deutschland,
die er in der Beschreibung seines bedeutenden Forschungs-
vorhabens nm „Dislokation”11 nannte, legte Landsberger den
in Ankara fertiggestellten ersten Band der Serie vor. Die vom
Päpstlichen Bibelinstitut in Rom verlegte Reihe Materialien zum
Sumerischen Lexikon wurde zwar erst nach dem Zweiten Welt-
krieg unter der Ägide von Benno Landsberger fortgesetzt. Doch
bis 1986 erschienen 17 Bände und ein Supplement des nunmehr
im Oriental Institute der Universität Chicago erstellten Werkes.
Vom zehnten Band an trägt Landsbergers Serie den englischen
Titel Materials for the Sumerian Lexicon (MSL). In nahezu allen
Bänden wurden Tontafeln aus Assur ausgewertet. Landsberger
und seine Mitarbeiter konnten für die Textrekonstruktion folgen-
der lexikalischer Werke auf veröffentlichte und unveröffentlich-
te Schriftzeugnisse zurückgreifen, die bei den Ausgrabungen in
Assur ans Licht gekommen waren:
ana ittTsu (MSL 1)
das Syllabar A, die Vokabulare Sa und Sb und vergleichbare
Texte (MSL 3)
das Emesal-Vokabularund die ..Neobabylonian Grammatical
Texts” (MSL 4)
ur5-ra = hubullu und mur-gud = imrü = ballu (MSL
5-11)
1 ü = sa und vergleichbare Texte (MSL 12)
die akrographisch organisierten zweisprachigen Wortlisten
i z i = isätu und KÄ.GAL = abullu (MSL 13)
e - a = A = näqu und ä = A = näqu (MSL 14)
diri = atru (MSL 15)
ü 1 u t i n = nabmtu (MSL 16)
erim-hus = anantu (MSL 17)
AfO 8 (1932/33). 54-56 und AfO 11 (1936/37). 357 mit den Tafeln
VII-VIII; siehe auch ders., „Die Bibliothek Tiglatpilesers L", AfO
16 (1952/53). 197-215.
6 L. Matous, Die lexikalischen Tafelserien der Babylonier und
Assyrer in den Berliner Museen I: Gegenstandslisten (Serie HAR-
ra = hubullu), Berlin 1933.
7 W. von Soden, Die lexikalischen Tafelserien der Babylonier
und Assyrer in den Berliner Museen II: Die akkadischen
Synonymenlisten. Berlin 1933.
8 So B. Landsberger. Materialien zum sumerischen Lexikon 1. Die
Serie ana ittisu, Rom 1937, 1*.
9 Ebd.. 2*.
10 Ebd.. 1*.
11 Ebd.. 3*.