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Heimweh und Verbrechen
In einem späteren Artikel wendet er sich mit Spott gegen den Rostocker Professor
Detharding. In einer Arbeit Disp. de Aere Rostockiano (1705)38 schreibt dieser von
der Schweizer Luft, die durch ihre Ungesund- und Grobheit die Gemüter der Einwoh-
ner ganz dumm mache. Aus eben dem Grunde bekämen die Schweizer das Heimweh,
weil sie eine reinere und gesündere Luft nicht vertragen könnten »gleich denen Wid-
hopfen, welche an den stinkenden Mist gewohnt, anderswo nicht leicht zunehmen«.39
Diese ergötzliche Meinungsverschiedenheit zwischen Scheuchzer und Detharding
wird von Zedler 173540 noch einmal wieder aufgerollt, aber nicht genug, 1781 wird in
Krünitzens Enzyklopädie41 in einem breitspurigen Aufsatze die alte Streitfrage noch-
mals behandelt, um dann endgültig zur Ruhe zu kommen (nach Kluge, ebenso das
folgende).
Im Anschluß an Hofer, Zwinger, Scheuchzer erscheinen nun zahlreiche popu-
läre Beschreibungen. 1716 wird in Breslau ein Aufsatz gedruckt von der Nostalgie oder
dem sogen. Heimwehe.42 1740 spricht Keyssler in einer Reisebeschreibung43 vom
6 sogen. Heimweh, welches sonderlich den Bernern anhängt. | 1755 sind in einer Leip-
ziger Wochenschrift 32 Seiten lang zu lesen »moralische Gedanken vom Heimweh«.44
Die Ende des Jahrhunderts erschienenen Werke von Stilling (Das Heimweh, Roman)45
und von Ul. v. Salis (Bildergalerie der Heimwehkranken)46 beschäftigen sich mit dem
Himmelsheimweh47 und ähnlichem, eine Parallelisierung vermeintlich verwandter
oder gar identischer Gefühle, die, von Dichtern manchmal benutzt, noch in der neue-
sten Broschüre Maacks: Heimweh und Verbrechen48 eine merkwürdige Rolle spielt.
In der ärztlichen Literatur wird die Nostalgie zu einem immer von neuem erwähn-
ten und beschriebenen Krankheitsbegriff, der für lange Zeit einen selbstverständlichen
Platz im nosologischen System genießt: Haller (1754),49 Linne: Genera morborum
(1763). Dieser führt unter der Klasse »morbi mentales« des ordo »pathetici« das genus
»Nostalgia« auf*. Er schafft die schwedische Übersetzung Hems juka.5° Van Swieten
erklärte das Heimweh für eine Ursache der Melancholie und des Skorbuts51, die durch
eine Veränderung der schwarzen Galle52 entstehe".53 Hervorragende Mediziner vom
Ende des 18. Jahrhunderts scheinen es regelmäßig zu erwähnen, so Cullen (Edin-
burgh) als Art der Melancholie,54 Sauvages55 (Montpellier) ebenso, Sagar (Wien) als
ein genus der vesaniae.56 Dieser erzählt von sich selbst (Syst. morb. sympt. S. 732 zit.
nach Vogel),57 daß er am Heimweh gelitten habe, mit Ekel, Verstopfung, Wassersucht,
Schlaflosigkeit und Schwäche. Sobald er in sein Vaterland zurückkam, genas er ohne
Arznei. Sauvages stellte vier Symptome auf: morositas, pervigilio, anorexia, asthenia"58,
Roth (1768),59 Medizin. Handlexikon (1782).60
i zit. nach Hettich.
ü zit. nach Benoist.
üi zit. nach Benoist.
Heimweh und Verbrechen
In einem späteren Artikel wendet er sich mit Spott gegen den Rostocker Professor
Detharding. In einer Arbeit Disp. de Aere Rostockiano (1705)38 schreibt dieser von
der Schweizer Luft, die durch ihre Ungesund- und Grobheit die Gemüter der Einwoh-
ner ganz dumm mache. Aus eben dem Grunde bekämen die Schweizer das Heimweh,
weil sie eine reinere und gesündere Luft nicht vertragen könnten »gleich denen Wid-
hopfen, welche an den stinkenden Mist gewohnt, anderswo nicht leicht zunehmen«.39
Diese ergötzliche Meinungsverschiedenheit zwischen Scheuchzer und Detharding
wird von Zedler 173540 noch einmal wieder aufgerollt, aber nicht genug, 1781 wird in
Krünitzens Enzyklopädie41 in einem breitspurigen Aufsatze die alte Streitfrage noch-
mals behandelt, um dann endgültig zur Ruhe zu kommen (nach Kluge, ebenso das
folgende).
Im Anschluß an Hofer, Zwinger, Scheuchzer erscheinen nun zahlreiche popu-
läre Beschreibungen. 1716 wird in Breslau ein Aufsatz gedruckt von der Nostalgie oder
dem sogen. Heimwehe.42 1740 spricht Keyssler in einer Reisebeschreibung43 vom
6 sogen. Heimweh, welches sonderlich den Bernern anhängt. | 1755 sind in einer Leip-
ziger Wochenschrift 32 Seiten lang zu lesen »moralische Gedanken vom Heimweh«.44
Die Ende des Jahrhunderts erschienenen Werke von Stilling (Das Heimweh, Roman)45
und von Ul. v. Salis (Bildergalerie der Heimwehkranken)46 beschäftigen sich mit dem
Himmelsheimweh47 und ähnlichem, eine Parallelisierung vermeintlich verwandter
oder gar identischer Gefühle, die, von Dichtern manchmal benutzt, noch in der neue-
sten Broschüre Maacks: Heimweh und Verbrechen48 eine merkwürdige Rolle spielt.
In der ärztlichen Literatur wird die Nostalgie zu einem immer von neuem erwähn-
ten und beschriebenen Krankheitsbegriff, der für lange Zeit einen selbstverständlichen
Platz im nosologischen System genießt: Haller (1754),49 Linne: Genera morborum
(1763). Dieser führt unter der Klasse »morbi mentales« des ordo »pathetici« das genus
»Nostalgia« auf*. Er schafft die schwedische Übersetzung Hems juka.5° Van Swieten
erklärte das Heimweh für eine Ursache der Melancholie und des Skorbuts51, die durch
eine Veränderung der schwarzen Galle52 entstehe".53 Hervorragende Mediziner vom
Ende des 18. Jahrhunderts scheinen es regelmäßig zu erwähnen, so Cullen (Edin-
burgh) als Art der Melancholie,54 Sauvages55 (Montpellier) ebenso, Sagar (Wien) als
ein genus der vesaniae.56 Dieser erzählt von sich selbst (Syst. morb. sympt. S. 732 zit.
nach Vogel),57 daß er am Heimweh gelitten habe, mit Ekel, Verstopfung, Wassersucht,
Schlaflosigkeit und Schwäche. Sobald er in sein Vaterland zurückkam, genas er ohne
Arznei. Sauvages stellte vier Symptome auf: morositas, pervigilio, anorexia, asthenia"58,
Roth (1768),59 Medizin. Handlexikon (1782).60
i zit. nach Hettich.
ü zit. nach Benoist.
üi zit. nach Benoist.