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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0150
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| Eifersuchtswahn
Ein Beitrag zur Frage: »Entwicklung einer
Persönlichkeit« oder »Prozess«?296
Man findet in vorliegender Arbeit dreierlei ineinander verflochten. Erstens: Eine Reihe
für die Frage der Paranoia297 wichtiger, sich zum Teil über das ganze Leben erstrecken-
der Krankengeschichten von Eifersüchtigen, die sicher nicht als alkoholisch und ohne
weiteres weder als manisch-depressiv noch als der Dementia praecox298 angehörig auf-
gefaßt werden können.299 Damit zweitens: Eine symptomatologische Übersicht über
die Gebilde des Eifersuchtswahns. Und drittens: Nosologische Erörterungen über die
Auffassung der vorliegenden, einander vielfach ähnlichen Fälle; dabei werden wir uns
aussprechen müssen über die Begriffe des »Prozesses« und der »Entwicklung einer Per-
sönlichkeit«. Es ist unser Wunsch, hierbei uns möglichst klarer Begriffe zu befleißigen,
dagegen nicht, die Einordnung und Auffassung der Fälle in der Form scheinbar end-
gültiger Klarheit zu geben. Wir möchten das Bewußtsein der Unerschöpfbarkeit und
Rätselhaftigkeit jedes einzelnen geisteskranken Menschen, das wir den scheinbar all-
täglichsten Fällen gegenüber besitzen sollen, auch hier nicht verlieren.
Ich glaube - besonders bei der Länge der beiden ersten und wichtigsten Kranken-
geschichten - einige Bemerkungen über die Veröffentlichung von Krankengeschichten über-
haupt und die Ausarbeitung der meinigen voraussenden zu dürfen, um ihre Absicht
zu zeigen.300 Man kann sich in der Psychiatrie nicht verständigen ohne die Schilde-
rung einzelner Fälle. Diese sind die Ecksteine, ohne die unsere Begriffsgebilde zusam-
menfallen. Das zeigt sich an der Wirkungslosigkeit so mancher älterer Arbeiten, die,
weil die Fälle ja allgemein bekannt seien, auf diese oft pedantische und überflüssige,
dazu arg raumfüllende Beigabe verzichten. Man kann Erörterungen naturgemäß auf
Krankengeschichten stützen, die in der Literatur niedergelegt sind, aber wo diese nicht
ausreichen oder dem betreffenden Autor nicht klar genug sind, muß er sich bequemen,
eigene Fälle aufzuführen, auch wenn er in Gefahr ist, nur »Bekanntes« zu geben.
»Bekannt« ist, was in der Literatur niedergelegt ist, alles andere ist unbekannt, mag es
auch durch persönliche Aussprache noch so große Verbreitung haben. Man kann sich
natürlich erst recht nicht stützen auf die Allgemeinbeschreibungen der Lehrbücher,
die eine im höchsten Maße ephemere Bedeutung haben, insofern in Beschreibungen
von »Krankheitsbildern« eine Gesamtschilderung von Zuständen aus Einzelfällen
ineinandergearbeitet ist, die einer weiteren Untersuchung oft genug als wesensver-
schieden erscheinen müssen. Trotz des vielen kasuistischen Materials, das in den

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