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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0157
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Eifersuchtswahn

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beauftragte den Bezirksarzt mit der Begutachtung seines Geisteszustandes. Er traf K. in seiner
Werkstätte, verhandelte dort mit ihm und gab sein Gutachten dahin ab, daß K. zwar geistig
gestört sei, eine Unterbringung in eine Anstalt jedoch nicht notwendig erscheine, dagegen eine
Überwachung durch die Ortsbehörde empfehlenswert sei.
Gleichzeitig mit dem erwähnten Strafantrag hatte K. vor dem Amtsgericht Klage auf Ehe-
scheidung erhoben. Noch im Jahre 1892 fand in dieser Sache vor dem Oberamtsrichter ein Süh-
netermin ohne Erfolg statt.
In einem Bericht vom Jahre 1893, welcher auf eine Eingabe des K. hin vom Ministerium ein-
gefordert wurde, trug der Oberamtsrichter vor, er habe im Termin dem K. wohlmeinend
bemerkt, er grübele und sinne über seine astronomische Uhr, an der er schon seit 16 Jahren
arbeite, zu viel nach, was seine Nerven aufrege; in diesem Zustande werde er sich Sachen vorge-
stellt haben, die nicht vorkamen.
Um dieselbe Zeit fiel dem K. ein seiner Frau zugestellter Sportelzettel mit dem Betreff »Gei-
steszustand des Julius Klug« in die Hände.
Aus dem Zusammentreffen der Bemerkung des Oberamtsrichters, der Untersuchung durch
den Bezirksarzt und der Auffindung dieses Zettels erwuchs dem K. die Überzeugung, daß er »amt-
lich närrisch erklärt« sei, und zwar auf Betreiben des Oberamtsrichters von seiner Frau, um die
Beschuldigung des Ehebruchs zu entkräften. Gegenteilige Versicherungen blieben ohne Erfolg.
In zahlreichen Eingaben wandte er sich an die Behörden bis zum Landesfürsten hinauf um Auf-
hebung der »Närrisch-Erklärung«. Die Akteneinsicht, um die er wiederholt nachsuchte, wurde
ihm mit Rücksicht auf das Gutachten des Bezirksarztes verweigert.
Im Jahre 1895 lief bei der Staatsanwaltschaft eine Anzeige des Gemeinderats Lehmann aus
dem Heimatsorte des K. gegen diesen wegen lebensgefährlicher Bedrohung ein. Er führte aus,
daß K. ihn und noch zwei andere unbescholtene Bürger seit 2 Jahren im Verdacht des
geschlechtlichen Umgangs mit seiner Frau habe. Obgleich diese in den gemeinsten Ausdrük-
ken ausgesprochene Beschuldigung jeder Grundlage entbehre, hätte er sich in Anbetracht des
Charakters des K. darüber hinweggesetzt, wenn ihm nicht K. in einem Briefe mit Totschießen
gedroht hätte. Da K. tatsächlich mehrfach mit geladenem Revolver nach Hause gekommen sei,
sei eine Ausführung der Drohung nicht ausgeschlossen. Er bitte, da er sich beim Bezirksamt
und Amtsgericht vergeblich bemüht habe, die Staatsanwaltschaft um Anordnung geeigneter
Sicherheitsmaßregeln. Die Staatsanwaltschaft entschied nach Kenntnis der Akten, daß eine
Strafverfolgung nicht stattfinden könne und stellte dem Bezirksamt anheim, weitere Sicher-
heitsmaßregeln zu treffen.
92 | Kurz darauf (1895) richtete K. ein vier Bogen langes Schreiben an die Staatsanwaltschaft, in
dem er um gerichtliche Hilfe und Rechtsschutz bat gegen seine Frau wegen erwirkter »Närrisch-
erklärung«, gegen den Oberamtsrichter wegen Anratens dazu und verleumderischer Beleidi-
gung, gegen den Bezirksarzt wegen wahrheitswidriger Begutachtung und gegen das Bezirksamt
wegen des auf wahrheitswidrige Angaben hin erlassenen Dekrets der Närrischerklärung. Nach
Eingehen dieses umfangreichen Schriftstückes, das von den schwersten Beschuldigungen und
Schmähungen der angeschuldigten Persönlichkeiten strotzte, wurden mit K. die ganzen Ver-
hältnisse und die Haltlosigkeit seiner Beschuldigungen eingehend besprochen. Ohne Erfolg.
Denn wenige Tage später richtete K. ein »Schlußwort in dieser furchtbar schrecklichen Angele-
genheit« an den Staatsanwalt. Er schrieb: »Der Glaube an die Tatsachen steht fest«, bezeichnete
die gegen ihn geübte Handlungsweise als »Justizmord« und drohte, die Angelegenheit in die
sozialdemokratische Presse zu bringen.
 
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