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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0158
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Eifersuchtswahn

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Ein von einem anderen Bezirksarzt eingefordertes Gutachten erklärte nach zweimaliger
Untersuchung, den K. nicht ohne weiteres für geisteskrank erklären zu können. - Der Ober-
amtsrichter berichtete erneut über zahlreiche Briefe gröblichsten Inhalts, die er von K. erhal-
ten, jedoch ignoriert habe. - Auf Wunsch des Bezirksarztes durch die Gendarmerie von neuem
und wiederholt gemachte Erhebungen über die eheliche Treue der Frau K. ergaben, daß sämt-
liche Befragten alle Anschuldigungen des K. für erfunden erklärten. Man kam zu dem Resul-
tat, daß eine Beobachtung des K. in einer Irrenanstalt behufs Einholung eines Gutachtens
unvermeidlich sei. Um eine solche möglich zu machen, stellte das Ministerium Strafantrag
gegen K. wegen Beleidigung des Oberamtsrichters in bezug auf seinen Beruf. Das Landgericht
beschloß auf den Antrag des Arztes die Überführung in die Irrenklinik Heidelberg. K. hatte sich
jedoch schon 10 Tage früher unbekannt wohin entfernt. In Straßburg, wo er sich bei einem sei-
ner Söhne aufhielt, wurde er schließlich verhaftet und im Dezember 1895 der Heidelberger
Irrenklinik eingeliefert.
Von Frau K. wurde folgende Anamnese erhoben: Sie kennt ihren Mann seit der Militärzeit. Er
war immer sehr schnell aufgeregt. »Ich habe nicht viel sagen dürfen und mein Wort hat gar
nichts gegolten; es hat nach seiner Richtung immer gehen müssen.« Früher seien sie immer gut
miteinander ausgekommen. Die Frau habe eben nachgegeben.
Aber seit3 fahren »ist es an ihn gekommen«. Er wurde eifersüchtig auf den Uhrmacher des Nach-
barortes, wollte nicht mehr, daß sie, wie gewöhnlich, Uhren dorthin bringe. Er rief sie in seine
Werkstatt, um ihr zu erklären, im Wirtshaus habe er gehört, er und der andere Uhrmacher hät-
ten eine Frau zusammen. Bald kam er noch mit drei anderen Männern, mit denen sie ebenfalls
Ehebruch getrieben haben solle. Sogar neben ihm im Bette habe sie mit ihnen gelegen. Er habe
es deutlich gefühlt, wie er gedrückt worden sei; ihm seien die Augen zugebunden worden.
Von den Kindern sagte er, es seien »Hurenkinder«. Sie sollten nur zu ihrem »Hurenvater«
gehen. Anfangs sollten wenigstens die beiden ältesten Kinder die seinigen sein, später behaup-
tete er, auch diese seien nicht von ihm. Der älteste sei der Sohn eines Wirtes, bei dem sie als
Brautleute verkehrten, er habe denselben Blick wie dieser Wirt. - Sogar einen Feldhüter, der eine
Uhr zur Reparatur brachte, solle sie zum Coitus zugelassen haben. - Immer habe er von seiner
Frau verlangt, sie solle gestehen. »Ich muß klagen, wenn du nicht eingestehst.« Auch körper-
lich habe er ihr zugesetzt. Oft habe er sie geschlagen, auch mit einem Lattenstück, und gerufen:
»Ich will dir einmal närrisch erklären.« - Am schlimmsten sei es nachts gewesen, er fuhr oft im
Schlafe auf und rief: »Hast nichts gehört, es hat sich doch was geregt?« - Wenn ihm einer der
verdächtigen Männer begegnete, lief er weg. Viele Leute haben ihm zugeredet, aber er habe sich
nichts ausreden lassen. »Er hat’s halt behauptet und damit war’s fertig.« Die Frau durfte gar nicht
versuchen zu leugnen. - Dabei habe er neben den laufenden Arbeiten immer an seiner Kunst-
uhr geschafft bei Tag und bei Nacht. Die Frau habe ihm oft abgeraten.
In ganz anderer Beleuchtung zeigten sich die Dinge, wie sie K. selbst berichtete. Wir führen
zunächst nur auf, was er damals 1895 in Heidelberg angab, schicken aber gleich voraus, daß er
über dieselbe Zeit im Laufe der nächsten 15 Jahre zum Teil dieselben, zum Teil ganz neue Anga-
ben gemacht hat, deren Verhältnis zueinander nur durch getrennte Wiedergabe hervortreten
kann, die wir darum trotz der Länge einer glatten Ineinanderarbeitung vorgezogen haben.
Im Jahre 1892 habe er zum erstenmal Gerüchte über die Untreue seiner Frau im Wirtshaus
gehört. Zwei Leute fragten, ob in T. eine Uhrmachersfrau zwei Männer habe. Darauf | habe der 93
Wirt gesagt: »Der Mann hier ist ja der Uhrmacher« und die Männer erklärten, sie könnten es
eidlich bekräftigen. »Ich trank mein Glas aus und ging weg, weil ich mich schämte.«
 
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