Metadaten

Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0160
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Eifersuchtswahn

117
Feiertag. Der Gesangverein ist im Gasthaus zur Krone gewesen. Obschon ich nicht Mitglied bin,
hat man mich eingeladen. Meine Frau wollte daheim bleiben, wollte aber mit Gewalt, daß ich
hingehe. Wir sind dann zusammen in die Krone. Da ist eine Frau hereingekommen, um ein Glas
Wein zu holen. Die hat gesagt »Theres«, so heißt mein Frau, »du sollst ein bißchen hinauskom-
men.« Da hat meine Frau gesagt: »Wer was von mir will, soll herein kommen.« Von dem Moment
ab hat sie nichts mehr getrunken, hat nur immer gesagt, sie will heim, sie will heim. Ich hab
dann gesagt, wenn 9 Uhr ist, dann gehen wir | zusammen heim. Um 9 Uhr sind wir heim. Da 94
bin ich ins Pissoir und meine Frau in den Garten. Da habe ich gehört sagen: »oh, oh!« und gleich
darauf ist die Stalltür zum Ziegenstall gegangen. Wie ich gesagt hab’, ob ich ein Licht bringen
soll, sagte sie »nein, nein«. Dann bin ich erst in das Bett und dann die Frau. Wir sind dann eine
gute Weile im Bett gelegen, dann habe ich etwas gehört, aber schwören kann ich nicht darauf.
Es ist mir gewesen als ob die Stubentür gehe. Später habe ich hören Klatschen, wie wenn man
ein Tuch zusammenklatscht. Was das ist, habe ich nicht gewußt, und weiß es heute noch nicht.
Ich habe erst gemeint, es sei auf der Straße. Es dauerte gar nicht lange, so fühle ich eine Hand
mir über das Gesicht fahren. Etwas Derartiges ist mir von meiner Frau in den 30 Jahren unserer
Ehe nicht vorgekommen. Gleich darauf fühle ich, wie mir ein Tuch über das Gesicht gebreitet
wird. Ich hab’ das Tuch heruntergezogen und hab’ weiter nichts gesagt. Noch eine Weile bin
ich dagelegen. Auf einmal hat die Bettstatt angefangen zu wackeln auf eine eigentümliche
Weise. Da sagte ich: »Um Gotteswillen, was ist das mit dem Bett?« Da sagte sie: »Mein Fuß, mein
Fuß!« Etwas später hörte ich etwas, was klang wie ein Kuß. Später hab ich ein Gewisper gehört.
Wie die Dinge gar kein Ende genommen haben, da bin ich aufgefahren und hab gesagt, jetzt
will ich doch ’mal sehen, was da los ist. Da hab ich Licht gemacht und da ist meine Frau aus der
Stube herausgekommen und war nicht mehr im Bett. Ich frag sie: »Was hast du aus dem Bett zu
tun?« Darauf hat sie keine Antwort gegeben. Dann ist sie zur Tür hinaus und wieder gekommen
und zu mir ins Bett. Es hat eine gute Weile gedauert, eine viertel Stunde, da ist die Haustür gegan-
gen.« »Das ist die Wahrheit.« »Ein Traum ist es nicht, dafür waren die Eindrücke zu deutlich.« -
Auf die Frage, warum er denn nicht einfach zugefaßt habe, um sich zu überzeugen, weiß er keine
befriedigende Antwort zu geben. »Ich möchte halt halb geschlafen haben.« Auch auf die Frage,
woher er gemerkt habe, daß es der Blum sei, da es doch nach seiner eigenen Angabe stockdun-
kel gewesen, weiß er keinen Bescheid. Die Nachbarn hätten deshalb nichts davon gemerkt, »weil
man bei der Nacht nicht so weit sehe.«
Dies sei lange vorher gewesen, ehe er überhaupt an Ehebruch gedacht habe. Erst später, wie
die Geschichten sich ausgedehnt haben, sei er darauf gekommen, was sie bedeuten. Wie sein
Verdacht ernstlich wurde, habe er trotz alledem gütig mit seiner Frau gesprochen, um der Kin-
der willen und um öffentlichen Skandal zu vermeiden. Er habe sie gebeten, einzugestehen, dann
wolle er ihr alles verzeihen. Sie habe geantwortet, lieber wolle sie zum Teufel gehen als eingeste-
hen. Daß die Vorwürfe nicht wahr seien, habe sie nicht zu behaupten gewagt. Die Frau mißhan-
delt zu haben stellt er entschieden in Abrede.
So sei es nun weiter gegangen bis Oktober 1892, wo er dann aus Verzweiflung zu seinem älte-
sten Sohne in die Schweiz gereist sei. Von dort habe er Beschwerde beim Staatsanwalt eingereicht.
Er sei bald wieder zurückgekehrt, weil er dort nicht arbeiten konnte und die Leute nicht ver-
stand. Da habe er beschlossen, sich Gewißheit zu verschaffen und seine Frau auf die Probe zu stel-
len. Er sei nachts nach Haus gekommen und habe mit einem Geldstück an das Fenster geklopft.
Es habe keine Minute gedauert, so sei geöffnet worden und seine Frau habe gerufen: »Wer ist
da«? Da habe er mit verstellter Stimme geantwortet: »Ein guter Freund; mach’ nur rasch auf, ich
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften