Eifersuchtswahn
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dezu erstaunliche Kunstfertigkeit erworben. Einen Beweis seiner hervorragenden Befähigung
hat K. durch die Herstellung eines wirklichen Meisterwerkes, einer astronomischen Kunstuhr
geliefert. Zur Ermöglichung der Durchführung dieses Werkes erhielt er, da seine Vermögensver-
hältnisse nur recht bescheidene sind, von der Regierung mehrfach Unterstützungen.«
1902 berichtet der Bürgermeister, daß es K. ziemlich gut gehe, daß er jedoch noch bei jeder
Gelegenheit gleich aufgeregt und sehr reizbar sei, wie früher. Auch habe er noch dieselben fixen
Ideen.
Mehrfach beschäftigen sich höchste staatliche Behörden ernstlich mit der Frage, das Werk
für ein Museum o. dgl. anzukaufen. Es ist wohl mehr auf zufällige Umstände zurückzuführen,
nicht auf den mangelnden Wert der Uhr, daß es nicht geschah.
Im Jahre 1905 machte K. erneut eine Eingabe um Aufhebung der Närrischerklärung an die
höchste Instanz. Einwänden, eine solche bestehe nicht, war er unzugänglich. Es heißt: »Der
Kranke macht heute wieder den Eindruck eines zum mindesten geistig anormalen Menschen,
der | von seinen einmal gefaßten Ansichten trotz immerwährender Widerlegungen nicht abge- 99
bracht werden kann. Ungünstig beeinflußt wird sein Zustand durch seine häusliche Umgebung
und durch seinen Aufenthalt an einem Orte, deren Bewohner sein zweifelsohne bedeutendes
Wissen und Können nicht zu würdigen oder auch nur zu achten wissen, sondern in ihm nur
den geistig nicht normalen Menschen sehen und ihm das vielleicht auch manchmal zu wissen
tun ... Der Verkauf seines Lebenswerkes, der astronomischen Uhr, an den Staat, an ein Museum
oder Private wäre ihm jedenfalls aufrichtig zu gönnen.«
Seine schweren Schicksale und Mißerfolge hatten K., dem es an Selbstbewußtsein nie man-
gelte, schon 1896 veranlaßt, Rückschau zu halten und sich mit seinem eigenen Leben zu
beschäftigen. Jetzt entschloß er sich - wohl in der Hoffnung, dadurch eher den Verkauf seiner
Kalenderuhr zu erreichen - seine Lebensgeschichte drucken zu lassen. 1906 erschien: »Wahrheits-
getreue Lebensbeschreibung eines Mannes, den man wegen Erbauung einer großartigen astro-
nomischen Kalenderuhr amtlich närrisch erklärt, seiner bürgerlichen Ehrenrechte entkleidet und
159 Tage ins Irrenhaus gesperrt hat.«321 Die Eröffnung bildet ein viele Seiten langes Gedicht, in
dem die Uhr spricht, z.B.:
»Dir den Ruhm des Schöpfers künden, -
Das sei Zweck des Daseins mir!
Seiner Allmacht Werke: Schönheit,
Weisheit, Güte, künd ich Dir! -«
Ein zweiter Teil des Gedichts behandelt die Närrischerklärung. Dann folgt die Erzählung sei-
nes Lebens, in der Form, wie wenn es sich um einen bedeutenden Mann handelt. Es ist eine
selbstbewußte pathetische Schilderung, wie die eines edlen Verfolgten. Er ist immer »der Mei-
ster«. Er kann sich nicht genug tun in der Darstellung »der geradezu unerhörten Lebensschick-
sale« »eines armen Mannes«. Dabei zeigt er vielfach Neigung zu logischen Feinheiten, zu spitz-
findigen Gedanken. Er beginnt: »Der kleine Julius zeigte schon in früher Jugend große Wiß- und
Lernbegierde.« Er las früh Bücher, machte früh bittere Erfahrungen. Aber einen »gläubig kind-
lich frommen Sinn«322 bewahrte er sich immer usw. In einem zweiten Kapitel, überschrieben
»Die Schlange unter Blumen« erzählt er, wie im Jahre 1892 die Gerüchte über die Untreue sei-
ner Frau und die Folgen ihm, der »am Kulminationspunkt« seines Lebens war, von nun an das
Leben zur Qual machten. Im folgenden Abschnitt »Die Entlarvung« erfahren wir in unverän-
derter Weise von der Szene, wie K. nachts als scheinbarer Fremdling heimkam, um der Frau ihr
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dezu erstaunliche Kunstfertigkeit erworben. Einen Beweis seiner hervorragenden Befähigung
hat K. durch die Herstellung eines wirklichen Meisterwerkes, einer astronomischen Kunstuhr
geliefert. Zur Ermöglichung der Durchführung dieses Werkes erhielt er, da seine Vermögensver-
hältnisse nur recht bescheidene sind, von der Regierung mehrfach Unterstützungen.«
1902 berichtet der Bürgermeister, daß es K. ziemlich gut gehe, daß er jedoch noch bei jeder
Gelegenheit gleich aufgeregt und sehr reizbar sei, wie früher. Auch habe er noch dieselben fixen
Ideen.
Mehrfach beschäftigen sich höchste staatliche Behörden ernstlich mit der Frage, das Werk
für ein Museum o. dgl. anzukaufen. Es ist wohl mehr auf zufällige Umstände zurückzuführen,
nicht auf den mangelnden Wert der Uhr, daß es nicht geschah.
Im Jahre 1905 machte K. erneut eine Eingabe um Aufhebung der Närrischerklärung an die
höchste Instanz. Einwänden, eine solche bestehe nicht, war er unzugänglich. Es heißt: »Der
Kranke macht heute wieder den Eindruck eines zum mindesten geistig anormalen Menschen,
der | von seinen einmal gefaßten Ansichten trotz immerwährender Widerlegungen nicht abge- 99
bracht werden kann. Ungünstig beeinflußt wird sein Zustand durch seine häusliche Umgebung
und durch seinen Aufenthalt an einem Orte, deren Bewohner sein zweifelsohne bedeutendes
Wissen und Können nicht zu würdigen oder auch nur zu achten wissen, sondern in ihm nur
den geistig nicht normalen Menschen sehen und ihm das vielleicht auch manchmal zu wissen
tun ... Der Verkauf seines Lebenswerkes, der astronomischen Uhr, an den Staat, an ein Museum
oder Private wäre ihm jedenfalls aufrichtig zu gönnen.«
Seine schweren Schicksale und Mißerfolge hatten K., dem es an Selbstbewußtsein nie man-
gelte, schon 1896 veranlaßt, Rückschau zu halten und sich mit seinem eigenen Leben zu
beschäftigen. Jetzt entschloß er sich - wohl in der Hoffnung, dadurch eher den Verkauf seiner
Kalenderuhr zu erreichen - seine Lebensgeschichte drucken zu lassen. 1906 erschien: »Wahrheits-
getreue Lebensbeschreibung eines Mannes, den man wegen Erbauung einer großartigen astro-
nomischen Kalenderuhr amtlich närrisch erklärt, seiner bürgerlichen Ehrenrechte entkleidet und
159 Tage ins Irrenhaus gesperrt hat.«321 Die Eröffnung bildet ein viele Seiten langes Gedicht, in
dem die Uhr spricht, z.B.:
»Dir den Ruhm des Schöpfers künden, -
Das sei Zweck des Daseins mir!
Seiner Allmacht Werke: Schönheit,
Weisheit, Güte, künd ich Dir! -«
Ein zweiter Teil des Gedichts behandelt die Närrischerklärung. Dann folgt die Erzählung sei-
nes Lebens, in der Form, wie wenn es sich um einen bedeutenden Mann handelt. Es ist eine
selbstbewußte pathetische Schilderung, wie die eines edlen Verfolgten. Er ist immer »der Mei-
ster«. Er kann sich nicht genug tun in der Darstellung »der geradezu unerhörten Lebensschick-
sale« »eines armen Mannes«. Dabei zeigt er vielfach Neigung zu logischen Feinheiten, zu spitz-
findigen Gedanken. Er beginnt: »Der kleine Julius zeigte schon in früher Jugend große Wiß- und
Lernbegierde.« Er las früh Bücher, machte früh bittere Erfahrungen. Aber einen »gläubig kind-
lich frommen Sinn«322 bewahrte er sich immer usw. In einem zweiten Kapitel, überschrieben
»Die Schlange unter Blumen« erzählt er, wie im Jahre 1892 die Gerüchte über die Untreue sei-
ner Frau und die Folgen ihm, der »am Kulminationspunkt« seines Lebens war, von nun an das
Leben zur Qual machten. Im folgenden Abschnitt »Die Entlarvung« erfahren wir in unverän-
derter Weise von der Szene, wie K. nachts als scheinbarer Fremdling heimkam, um der Frau ihr