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Eifersuchtswahn
ehebrecherisches Treiben nachzuweisen. Diese Vorgänge, den Besuch des Bezirksarztes, der Süh-
netermin, die »Närrischerklärung«, die erfolglosen Versuche, diese rückgängig zu machen, alles
das berichtet K. hier bis in die Einzelheiten so wie im Jahre 1895.
Dagegen erfahren wir überraschenderweise nun von einem Ereignis, das bis dahin nirgends,
auch nicht mit dem geringsten Wort in den Explorationen in Heidelberg und den zahlreichen
Schriftstücken von ihm erwähnt war. Dies Ereignis wird jetzt auf den 6. November 1895 datiert,
also auf einen Tag wenige Wochen vor die Überführung nach Heidelberg. Man kann bei diesen
Umständen an die Möglichkeit einer völligen Erinnerungsfälschung denken. Er erzählt: An
jenem Tage servierte ihm die Wirtin B. - er ging zum Frühstück aus - den Kaffee. Das Einschen-
ken dauerte eigentümlich lange. Ein Stückchen Papier, in dem wohl ein Pulver gewesen sein
konnte, flog zu Boden. Der Kaffee hatte einen etwas sonderbaren Geschmack. Er wollte aber den
Leuten keinen Verdruß machen, sagte nichts und trank die Tasse mutig leer. Da kam gerade
seine Ehefrau hinzu und wollte ihn noch zu einem zweiten Täßchen bereden. Eine Stunde spä-
ter wurde er plötzlich übel. Alle Glieder waren wie gelähmt. Er sank vom Stuhl zu Boden, emp-
fand Reißen und Brennen in den Gliedern, furchtbare Schmerzen, Leibweh, brennenden Durst.
Vor den Augen sah er Feuergarben, hörte Rauschen wie von Wasserströmen. Sein Geist war dabei
klar. Unbeweglich lag er mit stieren Blicken, ohne sich von der Stelle oder nur ein Glied rühren
zu können. Jeden Augenblick erwartete er seinen Tod. Gewaltiger Brechreiz quälte ihn ohne
Erfolg. - Abends war es noch schlimm, aber besser. Über den weiteren Verlauf berichtet er nichts.
Weiter erzählt er nun wieder unverändert von seiner Flucht nach der Schweiz, seiner Verhaf-
tung und Überführung nach Heidelberg »ins Haus der Schrecken«. Hier erhebt er Klage: »Drei
Tage und drei Nächte mußte Klug auf dem Hausgang, auf welchen sämtliche Zimmer der Total-
wahnsinnigen münden, zu Bett liegen. Nackt, halbnackt, teils nur mit einem Tuch, Kissen oder
Teppich in den verschiedensten Trappierungen behangen, kamen sie aus ihren Zimmern und
100 umtanzten schreiend, johlend, krähend, summend in allen Tonarten die Lagerstätte | des ängst-
lich um gütige Erlösung zu Gott betenden Mannes. Sie brüllten: Schlagt ihn tot. Die Wärter hiel-
ten sich zurück, denn sobald nur 3 oder 4 Schwerkranke beisammen sind, da getraut sich kein
Wärter mehr hin. Diese bemächtigen sich nur Einzelner und führen sie zu ihrem Lager.«323
In der Vorlesung sei er als »einer der gefährlichsten Quirlanten«324 bezeichnet und vorgestellt
worden.325 Dramatisch erzählt er die Einzelheiten in dem Kapitel »Das Debitum«. Auch der oben
erwähnten Konfrontation mit seiner Frau gedenkt er, gestaltet aber manches um, behauptet ins-
besondere, die Frau habe bei der Gelegenheit gestanden, die Unwahrheit gesagt zu haben. Es
folgt die Überführung in die neue Anstalt. Diese erfreut sich im Gegensatz zur Heidelberger Kli-
nik seines besonderen Lobes. Begeistert spricht er sich aus, wie zuvorkommend man ihn behan-
delt, ihn unterstützt, beobachtet und alsbald entlassen habe. - Nach der Entlassung habe ihn
die Beobachtung durch Gendarmen vielfach belästigt. Im Jahre 1898 wurde »das Werk vollen-
det«. Stolz erzählt er von dem großen Zulauf an Menschen, die kamen, die Kunstuhr zu besich-
tigen und seine Erklärungen derselben anzuhören. Auch hatten viele »von dem Schauerroman«
gehört und fragten ihn, ob es wahr sei. In wenigen Monaten seien über 45 000 Besucher dage-
wesen. Hunderte von Zeitungsartikeln erschienen. 1903 habe er die Uhr auf der Schwarzwald-
industrieausstellung gehabt. Hier habe die Überwachung, die ihm immer zuteil wurde, dem
Erfolg geschadet. Überhaupt erreichten es die Verleumdungen der Feinde, daß er sein Werk nicht
voll ausnutzen konnte. Seine darum von neuem vorgebrachten Bitten um Aufhebung der
Närrischerklärung seien erfolglos geblieben, immer hat man ihm geantwortet, eine solche
Närrischerklärung gäbe es nicht.
Eifersuchtswahn
ehebrecherisches Treiben nachzuweisen. Diese Vorgänge, den Besuch des Bezirksarztes, der Süh-
netermin, die »Närrischerklärung«, die erfolglosen Versuche, diese rückgängig zu machen, alles
das berichtet K. hier bis in die Einzelheiten so wie im Jahre 1895.
Dagegen erfahren wir überraschenderweise nun von einem Ereignis, das bis dahin nirgends,
auch nicht mit dem geringsten Wort in den Explorationen in Heidelberg und den zahlreichen
Schriftstücken von ihm erwähnt war. Dies Ereignis wird jetzt auf den 6. November 1895 datiert,
also auf einen Tag wenige Wochen vor die Überführung nach Heidelberg. Man kann bei diesen
Umständen an die Möglichkeit einer völligen Erinnerungsfälschung denken. Er erzählt: An
jenem Tage servierte ihm die Wirtin B. - er ging zum Frühstück aus - den Kaffee. Das Einschen-
ken dauerte eigentümlich lange. Ein Stückchen Papier, in dem wohl ein Pulver gewesen sein
konnte, flog zu Boden. Der Kaffee hatte einen etwas sonderbaren Geschmack. Er wollte aber den
Leuten keinen Verdruß machen, sagte nichts und trank die Tasse mutig leer. Da kam gerade
seine Ehefrau hinzu und wollte ihn noch zu einem zweiten Täßchen bereden. Eine Stunde spä-
ter wurde er plötzlich übel. Alle Glieder waren wie gelähmt. Er sank vom Stuhl zu Boden, emp-
fand Reißen und Brennen in den Gliedern, furchtbare Schmerzen, Leibweh, brennenden Durst.
Vor den Augen sah er Feuergarben, hörte Rauschen wie von Wasserströmen. Sein Geist war dabei
klar. Unbeweglich lag er mit stieren Blicken, ohne sich von der Stelle oder nur ein Glied rühren
zu können. Jeden Augenblick erwartete er seinen Tod. Gewaltiger Brechreiz quälte ihn ohne
Erfolg. - Abends war es noch schlimm, aber besser. Über den weiteren Verlauf berichtet er nichts.
Weiter erzählt er nun wieder unverändert von seiner Flucht nach der Schweiz, seiner Verhaf-
tung und Überführung nach Heidelberg »ins Haus der Schrecken«. Hier erhebt er Klage: »Drei
Tage und drei Nächte mußte Klug auf dem Hausgang, auf welchen sämtliche Zimmer der Total-
wahnsinnigen münden, zu Bett liegen. Nackt, halbnackt, teils nur mit einem Tuch, Kissen oder
Teppich in den verschiedensten Trappierungen behangen, kamen sie aus ihren Zimmern und
100 umtanzten schreiend, johlend, krähend, summend in allen Tonarten die Lagerstätte | des ängst-
lich um gütige Erlösung zu Gott betenden Mannes. Sie brüllten: Schlagt ihn tot. Die Wärter hiel-
ten sich zurück, denn sobald nur 3 oder 4 Schwerkranke beisammen sind, da getraut sich kein
Wärter mehr hin. Diese bemächtigen sich nur Einzelner und führen sie zu ihrem Lager.«323
In der Vorlesung sei er als »einer der gefährlichsten Quirlanten«324 bezeichnet und vorgestellt
worden.325 Dramatisch erzählt er die Einzelheiten in dem Kapitel »Das Debitum«. Auch der oben
erwähnten Konfrontation mit seiner Frau gedenkt er, gestaltet aber manches um, behauptet ins-
besondere, die Frau habe bei der Gelegenheit gestanden, die Unwahrheit gesagt zu haben. Es
folgt die Überführung in die neue Anstalt. Diese erfreut sich im Gegensatz zur Heidelberger Kli-
nik seines besonderen Lobes. Begeistert spricht er sich aus, wie zuvorkommend man ihn behan-
delt, ihn unterstützt, beobachtet und alsbald entlassen habe. - Nach der Entlassung habe ihn
die Beobachtung durch Gendarmen vielfach belästigt. Im Jahre 1898 wurde »das Werk vollen-
det«. Stolz erzählt er von dem großen Zulauf an Menschen, die kamen, die Kunstuhr zu besich-
tigen und seine Erklärungen derselben anzuhören. Auch hatten viele »von dem Schauerroman«
gehört und fragten ihn, ob es wahr sei. In wenigen Monaten seien über 45 000 Besucher dage-
wesen. Hunderte von Zeitungsartikeln erschienen. 1903 habe er die Uhr auf der Schwarzwald-
industrieausstellung gehabt. Hier habe die Überwachung, die ihm immer zuteil wurde, dem
Erfolg geschadet. Überhaupt erreichten es die Verleumdungen der Feinde, daß er sein Werk nicht
voll ausnutzen konnte. Seine darum von neuem vorgebrachten Bitten um Aufhebung der
Närrischerklärung seien erfolglos geblieben, immer hat man ihm geantwortet, eine solche
Närrischerklärung gäbe es nicht.