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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0201
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Eifersuchtswahn

er ein /jähriges Mädchen bei sich. Ich sagte, das ist ja eine merkwürdige Stellung, worauf er ver-
legen wurde und mir erwiderte, das Kind sei ihm auf den Schoß gefallen.« - »Nach seiner Angabe
tat er immer Gelübde, daß er mich 4-5 Monate nicht berühren wollte; falls ich ein Kind bekäme,
er wäre es nicht gewesen. Er führte über unseren Verkehr auch genau Buch.« »Mein Mann
behauptete, ich wäre mannstoll; wenn ich nicht jede Nacht einen anderen hätte, dann wäre ich
nicht zufrieden.« »Mein Mann hat eine Zeichnung von unserem Pfarrhaus gemacht mit vielen
Wegen, die meine betreffenden Liebhaber gegangen sein sollen.« - »Pfarrer K. soll seiner Frau
wiederholt erklärt haben, er sei nicht imstande, ein Kind zu erzeugen und schwebte in bestän-
diger Angst, die Frau sei schwanger« (Rechtsanwalt).
Pfarrer K. tat zunächst fast 10 Jahre lang keine gerichtlichen Schritte. Aber 1905, unmittelbar
nachdem er sich in den Ruhestand hatte versetzen lassen, reichte er gegen seine Frau die Schei-
dungsklage ein. Er schuldigte sie an, über ein Jahr fortgesetzten nächtlichen Verkehr mit dem
Schmied P. gehabt zu haben; dann sei der Blechschmied K. gefolgt, dann der Schuhmacher L.,
dann der Maurergeselle M., dann der Ackersmann F. Am ersten oder zweiten Tage nach der Über-
siedelung nach Z. habe sie im Hotel Ehebruch mit dem Oberkellner getrieben.
Die Vernehmung der Zeugen gab nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Behauptungen
des Pfarrers, wie überhaupt für ehebrecherische Handlungen oder auch nur Neigungen seiner
drei Ehefrauen nie etwas eruiert werden konnte. Dagegen wurde festgestellt, daß das ganze Dorf
davon wußte, daß K. seine Frau der Untreue auf so ungeheuerliche Art beschuldigte und daß
niemand daran glaubte. Bei dem negativen Ausfall der Zeugenaussagen nannte K. vier andere
Männer, mit denen seine Frau verkehrt haben solle und beantragte ihre Vernehmung. Diesen
Antrag zog er nachher allerdings wieder zurück. Seine Frau hatte inzwischen Antrag auf Ent-
mündigung gestellt.
Da er den Richtern als der Geisteskrankheit dringend verdächtig erschien, kam er zur Beob-
achtung in die Psychiatrische Klinik in Gießen. Hier hielt er sich gewissenhaft an die Hausord-
nung, gab sich äußerst konziliant, war höflich gegen das Pflegepersonal und bedacht, durch
Trinkgelder für Bedienung sich erkenntlich zu zeigen; er verhehlte dabei nicht, daß ihm der Auf-
enthalt in der Klinik unangenehm sei. Verschiedentlich zeigte er sich sehr mißtrauisch und
geneigt, aus geringen Dingen Kombinationen zu bilden, an deren Richtigkeit er nur wenig zwei-
felte. Er gab z.B. an: Bei seinem Eintritt in die Klinik sei er stutzig geworden, als der Referent ihn
gebeten, er möge zunächst doch mal sein Curriculum vitae schreiben. Er glaube fest, gehört zu
haben, daß Referent noch hinzufügte: »Ihr periculum vitae«,351 wie wenn er damit habe sagen
wollen: hier ist schon manchem sein Curriculum zum periculum geworden. Trotzdem natürlich
nicht davon die Rede war und man versuchte, es ihm auszureden, hielt Pfarrer K. unerschütter-
lich daran fest, es gehört zu haben. Anspielungen ähnlicher Art glaubte er noch mehrfach zu
bemerken. Auch war er geneigt, irgendwelchen Vorkommnissen (z.B. Ausbleiben einer Antwort
auf einen Brief oder Eintreffen derselben erst nach 4 Tagen) eine Deutung zu geben in dem Sinne,
daß etwas ihm Nachteiliges vor sich gehe. Auch zeigten sich direkte Erinnerungsfälschungen,
z.B. in einer Angabe, der Rechtsanwalt habe ihm etwas gesagt, was diesem tatsächlich nie in den
Sinn gekommen war. Pfarrer K. lehnte es ab, irgend etwas schriftlich von sich zu geben. »Gib
mir eine Zeile von jemandem und ich bringe ihn auf das Schafott«, sagte er bei solcher Gelegen-
heit.
Nach dem ungünstigen Ausfall der Zeugenaussagen und der Begutachtung erklärte Pfarrer K.,
er sei schon im letzten Sommer zu der Überzeugung gekommen, daß Verdachtsmomente gegen
seine Frau nicht vorliegen und sei auch der Ansicht, daß der frühere Verdacht gegen dieselbe, der
 
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