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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0208
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Eifersuchtswahn

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Fischer und Knopf, die wir als »Entwicklungen einer Persönlichkeit« auffaßten, die
einzelnen Wahnideen wohl als überwertige Ideen zweiter Art verstehen. Hier scheint
es uns nun auch gegenüber Mohr und Klug in die Waagschale zu fallen, daß Knopf und
Fischer gelegentlich korrigieren, umändern, Kritik üben, während bei Klug und Mohr
nie eine Spur Kritik, nie eine Spur von Korrektur auftaucht.
Als eine dritte Form »überwertiger Idee«, die im Sprachgebrauch vorkommt, müs-
sen wir aber noch einen Begriff festlegen. Wernicke sprach von einer »circumscripten«
Autopsychose = überwertige Idee (S. 164 Grundriß) und diagnostizierte sie auch in Fäl-
len, wo er das zugrunde liegende Erlebnis nicht finden kann, wenn er es auch als sicher
vorhanden annimmt (S. 144). Hier haben wir also eine überwertige Idee, die weder
durch das Merkmal der affektiven Überwertigkeit, noch durch das daraus entstandene
unkorrigierbare, falsche Realitätsurteil charakterisiert wird, sondern durch das Merk-
mal des »Circumscripten«. In diesem Sinne würden unsere Fälle Klug und Mohr Fälle
»überwertiger Idee« dritter Art sein, nur mit einem wesentlichen Unterschied gegen
Wernicke: wir vermuten kein Erlebnis, das zur adäquaten Erklärung in der Weise wie
bei der ersten und zweiten Art der überwertigen Idee genügt. Was schließlich das Merk-
mal des »Circumscripten« angeht, so ist das ein durchaus relatives. Circumscript bleibt
auch der ausgedehnteste Wahn, insofern z.B. nicht jede Wahrnehmung zu Beziehungs-
wahn Anlaß gibt usw. Die Menge der Wahneinheiten oder Wahnzusammenhänge wird
allerdings meist so groß, daß ein Zählen keinen Zweck hätte. Bei unseren Fällen ist der
Umfang fast auf eine Einheit zusammengeschrumpft, aber in diesen circumscripten
Bildungen finden wir als bei ganz einfachen Grenzfällen die Merkmale des Prozesses'.364
| Wir haben bisher die Fälle als »Prozeß« und »Entwicklung einer Persönlichkeit« 135
gegenübergestellt. Wir werden aber nicht erwarten können, daß sich alle Einzelfälle
restlos unter solche Begriffe, die wie alle Begriffe Abstraktionen und keine Wirklichkei-
ten sind, subsumieren lassen. Das ging auch schon bei den bis jetzt berichteten 4 rela-
tiv eindeutigen Fällen nicht an.

Stellen wir die Formen »überwertiger Idee«, die im Sprachgebrauch im Anschluß an Wernicke ge-
meint sind, zusammen, haben wir folgendes Schema:
1. Überwertige Idee:
a) = abnorm hohe Affektbetonung einer Idee, einer Vorstellungsgruppe usw., sei der Inhalt real
oder nicht;
b) = durch die Affektbetonung falscherweise inhaltlich für real gehaltene Ideen, die mit dem
Abklingen des Affekts korrigiert werden. (Für die Illusion auf Grund überwertiger Idee betont
Wernicke selbst diese Korrigierbarkeit. Grundriß, p. 220.)
2. Überwertige Idee = auf dem Wege der ersten Form entstandene, aber dauernd festgehaltene,
auch nach Abklingen des Affekts nicht korrigierte, inhaltlich fälschlich für real gehaltene Idee.
3. Überwertige Idee = gleichgültig auf welche Weise entstandene, »circumscripte« Wahnbildung.
Theoretisch wird vielfach, ohne daß das begründet wäre, bei jeder »circumscripten« Wahnbil-
dung die Entstehung auf dem Wege der ersten und zweiten Form postuliert.
 
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