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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0262
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Die Methoden der Intelligenzprüfung und der Begriff der Demenz

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andere fehlen oder erdrückt werden'. In allen diesen Fällen hat man von Schwachsinn
gesprochen. 1. und 2. beruhen auf der Ausdrucksweise der atomistischen Psychologie,
die in ihren Möglichkeiten vollkommen erschöpft erscheint und daher unbefriedi-
gend ist. 3. und 4. weisen auf die Grundlage dessen hin, was auch in den vorigen Punk-
ten gemeint ist, das »System der Triebe«“.481 Diese, als Dispositionen (gewissermaßen
als funktionelle, gegenüber den inhaltlichen des Gedächtnismaterials) den jeweiligen
aktuellen Wollungen zugrundeliegend gedacht, bedeuten die aktive Seite des Seelen-
lebens, in deren Hand die Werkzeuge erst in Bewegung geraten. Dieses System der
Triebe bildet die eine Richtung der Analyse der aktiven Seite. Zahllos sind die Aus-
drücke, die in Habitusschilderungen in dieses Gebiet weisen. Einzelne Triebe werden
genannt oder es wird ein fundamentaler Unterschied des allgemeinen Vorhandenseins
oder des Fehlens von Trieben geltend gemacht (letzteres ist das Ziel, auf das die »gemüt-
liche Verblödung« zusteuert). Wo Triebe vorhanden sind, machen sie sich, bevor sie
sich auswirken, bemerkbar durch Reizbedürfnisse, Interesse, Initiative usw. Je kompli-
zierter und entwickelter die Triebe, desto mannigfaltiger das Reizbedürfnis. Man kann
| sich bei allen diesen Unterschieden »die Werkzeuge« der Intelligenz gleichbleibend 183
denken; was mit ihnen geleistet wird, hängt doch von den Trieben ab. Will man hier
unter Umständen von Schwachsinn sprechen, so ist nichts dagegen einzuwenden, nur
muß man die Heterogenität dieses Begriffes von dem Begriff des Schwachsinns, der
von der Seite des Mechanismus gewonnen ist, nicht vergessen'".482

i Nähere Ausführungen findet man in allen Schilderungen psychopathischer Persönlichkeiten.
ü Möbius, Ribot, H. Maier.
iü Auf die aus den Triebgrundlagen entstehenden Gefühle, die das Symptom für die Wirksamkeit er-
sterer sind, bezieht sich der Aufsatz von Tschisch über die intellektuellen Gefühle bei Geisteskran-
ken. Monatsschr. f. Psych. u. Neur., Erg.-Heft, 26,335.1909. Sich stützend auf die Lehrbücher der
Psychologie von Külpe, Sully, Ladd und Davis unterscheidet er zwei Arten intellektueller Ge-
fühle: Es stehen sich gegenüber die dynamischen, die die intellektuelle Tätigkeit begleiten, und
die statischen, die von dem Vorhandensein oder der Abwesenheit der Wahrheit in den Ergebnis-
sen der intellektuellen Tätigkeit hervorgerufen würden. Demgemäß sei zu unterscheiden Wißbe-
gier (Gefühle, die mit der geistigen Tätigkeit verbunden sind) und Wahrheitsliebe (Gefühle, die
an die Ergebnisse geknüpft sind). »Beide Gruppen von intellektuellen Gefühlen haben keine un-
wichtige Bedeutung im Leben der heutigen Menschheit (!).« Diese Gefühle seien bei allen Geistes-
krankheiten geschwächt, manchmal seien sich die Patienten dieser Veränderung bewußt, mei-
stens nicht. Auch bei Ermüdung und chronischen körperlichen Krankheiten erlitten sie Einbuße.
Die Untersuchung dieser Abnahme sei schwierig, da das Symptom meist unter anderen gröberen
verschwinde. Verf. läßt sich des längeren aus über ihr Verhalten bei Arteriosklerose und begin-
nender Paralyse, bei Schwachsinn und moral insanity, bei phantastischen Lügnern und Paranoi-
kern. Seine Angaben bringen sachlich nichts Neues, sie führen auch nirgends zu einer weiteren
Klärung unserer Begriffe und zu einem systematischen Verfolgen derselben durch alle Erschei-
nungsformen der Psychosen. Er bleibt durchaus in den üblichen Habitusschilderungen stecken,
denen er nichts Eigenes hinzuzufügen vermag. - Über die »intellektuellen Gefühle« siehe im üb-
rigen die klaren Ausführungen Wundts, Physiol. Psychol. 3, 624 ff.
 
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