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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0275
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Zur Analyse der Trugwahrnehmungen

nehmung nicht realiter in diese Elemente zerlegen oder isolierte Elemente vorfinden, aus
deren Zusammentreffen dann Wahrnehmung wird. Niemals sind uns diese Elemente iso-
liert gegeben', gegeben ist uns zuerst die ganze fertige Wahrnehmung. Eine Empfindung,
ein räumliches Moment kennen wir realiter nur als Bestandteile von Wahrnehmungen.
Wohl können wir der uns gegebenen Wahrnehmung mit der Frage nach ihrer Ent-
stehung gegenübertreten. Dann erklären wir ihr Zustandekommen. Diese Erklärung ist
ganz verschieden von einer Analyse. Die Erklärung arbeitet mit außerbewußten theo-
194 retischen Vorgängen. Sie arbeitet mit Elementen, die | entweder völlig außerbewußt und
erschlossen, oder aber auch durch Analyse der gegebenen Wahrnehmung als Bestand-
teile respektive Seiten derselben vorgefunden sein können. Für die Zwecke der Erklä-
rung ist das gleichgültig. Der Weg der Erklärung führt schließlich immer über theore-
tische außerbewußte Vorgänge. Psychophysische Experimente sind die einzigen Mittel,
durch welche solche Erklärungen gestützt werden können.
Ganz andere Zwecke verfolgt die Analyse. Da die Wahrnehmung uns nur als Gan-
zes, nicht in ihren Elementen »gegeben« ist, besteht ihr Verfahren darin, daß sie an
verschiedenen Wahrnehmungen gleiche Elemente herausfindet. Die Tatsache, daß
Wahrnehmungen in allen Teilen außer einem variieren, ist ihre Basis. Auf diesem Wege
findet sie beschreibend eine Reihe von Elementen. Der Zweck der Analyse ist Beschrei-
bung, nicht Erklärung. Sie begeht sofort einen fundamentalen Fehler, wenn sie ihre
deskriptiven Elemente als reale, isolierte Elemente hypostasiert. Die Gebilde, die die
Analyse zergliedert, sind nicht aus den Bestandteilen, in die sie dieselben zerlegt, ent-
standen. Ihre Elemente haben nur den Zweck, die psychischen Vorgänge, so wie sie
wirklich sind, bestimmter charakterisieren und sicherer unterscheiden zu können. Ihre
Beschreibungen können dann zwar als Grundlage zur Fragestellung für Erklärungen
dienen, dürfen aber nie selbst für Erklärungen gehalten werden. Ihre Elemente sind
keine realen isolierten Wesen, ihre Zergliederungen keine Genesen. Das Experiment
hat für solche Analysen nicht die entscheidende Bedeutung wie für Erklärungen,
wenngleich es vielfach die Beobachtung erleichtern kann. -
Unsere nun folgende Wahrnehmungsanalyse ist ein notwendig sehr kurz und roh
darstellendes Referat derjenigen psychologischen Resultate, die wir als die richtigen
ansehen. Die Begründungen können hier natürlich nur den Wert haben, das Behaup-
tete plausibel zu machen".512
Als erstes bietet sich uns die geläufige und alte Erkenntnis an, daß sich jede Wahrneh-
mungin letzte Elemente zerlegen läßt, die Empfindungen genannt werden. Die Wahrneh-

i Möglicherweise mit seltenen Ausnahmen. Vgl. später.
ü Die wirklich verbindlichen Begründungen findet man für die Empfindungselemente in Wundts Phy-
siologischer Psychologie, für die Akte und die ganze Richtung der hier geübten Zergliederung in
Husserls phänomenologischen Analysen (Logische Untersuchungen, 2. Bd., Halle 1901). Eine ge-
meinverständliche und übersichtliche Darstellung gibt Messer, Empfindung und Denken, Leipzig
1908.
 
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