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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0293
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Zur Analyse der Trugwahrnehmungen

beide Erscheinungen hatten und unterschieden, bisher, soviel ich sehe, nur von
Kandinsky beschrieben sind.
Wir verweisen auf die Unterscheidung der zweierlei Arten von Stimmen bei Frau Kraus S. 231
dieser Arbeit.546
Hier müssen wir als klassischen Fall, mit dessen Unterscheidung der Stimmen der unserige
übereinstimmt, den Kranken Perewalow anführen (Kandinsky, l.c. S. 93): »Mein Kranker
Perewalow unterscheidet selbst in seinen subjektiven Gehörswahrnehmungen: a) ein »direktes
Sprechen« (Halluzinationen des Gehörs), welches zweierlei Art ist... (ein lautes und ein leises
Sprechen)... Der Kranke meint, daß die Laute und Worte dabei auf natürliche Weise durch die
Stimmapparate der »Stromisten« hervorgebracht und auf gewöhnlichem Wege, wie jeder andere
objektive Laut, seinem Ohre zugeführt werden (z.B. durch Öffnungen in der Diele und den Wän-
den); b) ein Sprechen vermittels eines besonderen Stromes, wobei dieser Strom, auf den Kopf
des Kranken gerichtet, diesen letzteren, dem Wunsche der Stromisten gemäß, diese oder jene
Worte zu hören zwingt; die Gehörswahrnehmung ist hier des Charakters der Objektivität ganz
entblößt, in keinem bestimmten Punkte der Außenwelt lokalisiert, immer unveränderlich einför-
mig, so daß kein Unterschied im Timbre vom Kranken bemerkt wird; c) Zwangsdenken ohne
jegliches inneres Hören ...« Ähnliche Fälle sind schon mehrfach, z.B. von Baillarger547 und
von Koeppe,548 veröffentlicht worden.
Perewalow behauptet von seiner inneren Stimme, daß sie an keinem bestimmten
Punkte der Außenwelt lokalisiert ist. Dieses Leugnen einer objektiven Räumlichkeit fin-
det man oft bei den pseudohalluzinatorischen Stimmen. Ob aber dabei eine subjektive
Räumlichkeit vorliegt, oder ein unräumliches Hören stattfindet, ist in diesen Fällen
zweifelhaft. Es können aber in ganz analogen Fällen die inneren Stimmen in einen sub-
211 jektiven Raum lokalisiert | werden. Z.B. geben solche Kranke an, daß sie ihre Stimmen
aus einer fernen Stadt zu vernehmen meinen, die außerhalb der physikalisch mögli-
chen Entfernung für Gehörswahrnehmungen liegt. Solche Pseudohalluzinationen
sind als extrakampine Halluzinationen beschrieben'.549 Hier findet die akustische Loka-
lisation, wie immer, unter Verknüpfung mit einer Gesichtsvorstellung statt. Zu den
Vorstellungen, nicht zu den Wahrnehmungen gehört auch die Gesichtsvorstellung
des augenblicklich real hinter und um uns befindlichen Raums. Auch in dieser Gesichts-
vorstellung scheinen sich die akustischen Pseudohalluzinationen lokalisieren zu kön-
nen". Andererseits lokalisieren wir dauernd in diesen vorgestellten Gesichtsraum unsere
leibhaftigen akustischen Wahrnehmungen, die unser Ohr von hinten und von der Seite
treffen. Eine Lokalisation akustischer Pseudohalluzinationen in den leibhaftigen
Gesichtsraum ist dagegen nicht beobachtet.
Dies sind die Tatsachen über die räumliche Lokalisation der akustischen Wahrneh-
mungen und Pseudohalluzinationen. Sie scheinen schwer miteinander vereinbar. Am

i Bleuler, Extracampine Halluzinationen. Psych.-neurol. Wochenschr. 1903, Nr. 25.
ü Vgl. die Fälle Hesse und Weber S. 279 und 283 dieser Arbeit und die Bemerkungen über Lokalisa-
tion S. 281, 284 ff.
 
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