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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0332
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Zur Analyse der Trugwahrnehmungen

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Gesunden Interesse, die Külpe'568 angestellt hat. Wir können fast alle Menschen unter
Bedingungen setzen, unter denen die entoptischen subjektiven Sinnesvorgänge
(Nebel, Flimmern, Flecken, Streifen, Bänder), die unter normalen Umständen wegen
ihrer Schwäche überhaupt nicht bemerkt werden, gleichen Wert mit äußeren Wahr-
nehmungen haben. Man muß nur im absolut dunkeln Raum nur solche Lichterschei-
nungen zur Wahrnehmung bringen, die an Helligkeit sich in der Stufe der entopti-
schen Phänomene bewegen. In einem Dunkelzimmer wurde den Versuchspersonen
(Vp.) ein sehr wenig intensiver Lichtschein an die Wand projiziert, den sie in einer
Entfernung von 1V2 m sahen. Der Schein hatte die Form eines Quadrates. Variiert
wurde die Größe des Quadrates, die Helligkeit und die Zeitdauer der Projektion (von
1-20 Sekunden). Die Vp. hatten die Aufgabe, jedesmal, wenn sie etwas sehen würden,
dies Gesehene zu schildern.
Es zeigte sich, daß oft subjektive Lichterscheinungen für objektive erklärt wurden,
manchmal auch objektive für subjektive, und daß oft Zweifel, ob das Phänomen objek-
tiv oder subjektiv sei, laut wurden. Die Zahl der Fehler und Zweifel nahm zu mit der
anderweitig feststellbaren Disposition der Vp. zu subjektiven Lichterscheinungen. Sie
hing ferner ab von der Neigung der Persönlichkeiten zu Vorsicht und Zweifel. Überwie-
gend war immer die Tendenz zur Objektivierung. Die Motive der Objektivierung und
Subjektivierung lagen teils im Einzelphänomen (z.B. Qualität eines eigentümlichen
Grau bei den objektiven Erscheinungen, größere Helligkeit, Dauer, Plötzlichkeit des Auf-
tretens und Verschwindens), teils in Beziehungen zu anderen Phänomenen (z.B. wurde,
wenn Nachbilder auftraten, objektiviert; ferner diente die Abhängigkeit von Augenbe-
wegungen und vom Schließen der Augen zur Urteilsbildung). Oberhalb einer bestimm-
ten Helligkeitsgrenze wurde das Realitätsurteil ausnahmslos richtig gefällt.
Külpe spricht von dem Gegensatz der Subj ektivierung und Obj ektivierung. Er macht
nicht den doppelten Unterschied Leibhaftigkeit-Bildhaftigkeit und richtiges-falsches
Realitätsurteil. Wir können nach unseren früheren Erwägungen jetzt leicht entscheiden,
daß es sich bei Külpe nicht um die Untersuchung der »unverständlichen« außerbewußten
Genese der Leibhaftigkeit (des Objektivitätscharakters) und ihres Gegensatzes, sondern um
die »verständliche« im Bewußtsein stattfindende Genese des Realitätsurteils handelt. Was bei
den Vp. verglichen wird, die entoptischen Wahrnehmungen und die realen Lichtwahr-
nehmungen, sind beides leibhaftige Erscheinungen, verschieden ist nur das Urteil, ob es
sich um objektiv oder subjektiv entstandene Phänomene handelt.
Was lernen wir nun aus Külpes Versuchen für unsere Zwecke? Wir wollen zunächst
die Ähnlichkeiten zwischen dem Urteil der Vp. und dem Realitätsurteil der Geistes-

Külpe, Oswald, Über die Objektivierung und Subjektivierung von Sinneseindrücken. Philosophi-
sche Studien, herausgegeben von Wundt, Bd. 19,1902. Aus dieser Arbeit führen wir nur ganz Weni-
ges an, das uns zu unserem Thema zu gehören scheint. Insbesondere lassen wir den erkenntnistheo-
retischen Gesichtspunkt Külpes ganz fort.
 
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