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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0345
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302

Die Trugwahrnehmungen

Ein Vergleich der Sinnestäuschungen untereinander setzt eine Gleichheit oder
wenigstens große Ähnlichkeit des Bewußtseinszustandes voraus, in dem der Kranke sie
erlebt und beurteilt. Am leichtesten vergleichen kann man die Sinnestäuschungen bei
völlig geordnetem, orientiertem, zugänglichem, besonnenem Bewußtsein, wie wir es
sowohl bei Gesunden, wie bei manchen Kranken z.B. der Dementia-praecox-Gruppe593
u.a. finden. Dagegen bedeuten schwerere Veränderungen der Stimmung (Depressio-
nen), ein unzugängliches oder wenigstens nur augenblicksweise zugängliches Wesen,
Erregungszustände, erst recht natürlich alle Zustände der Unorientiertheit bis zum
Traumzustande Veränderungen des Bewußtseins, die es nicht erlauben, die bei ihnen vor-
kommenden Sinnestäuschungen ohne weiteres gleichzustellen.
Hier liegt eine Grenze unseres Referates. Wir berichten über Sinnestäuschungen,
soweit sich unter Voraussetzung gleichen Bewußtseinszustandes über sie etwas sagen läßt.
Auf die Eigentümlichkeiten, die mit abnormen Bewußtseinszuständen zusammen-
257 hängen, gehen wir nur sehr wenig ein, da | dieses eine Analyse dieser Zustände - eine
fast unüberwindlich schwierige Aufgabe - erforderte. Damit sind Fehler gegeben, die
wir zwar dadurch, daß wir an ihre Quelle denken, vermindern, aber nicht ganz aus-
schalten können. Denn wir berichten auch über Sinnestäuschungen, die bei veränder-
tem Bewußtsein beobachtet sind, als ob es in normalem Zustand geschehen sei. Eine
Korrektur müßte von einer Darstellung der Bewußtseinsanomalien ausgehen. Dieje-
nigen Bewußtseinszustände, in denen völlige »Entrückung«, wie im Traum, stattfin-
det, und in denen keine reale Wahrnehmung mehr gemacht wird, können wir wohl
überhaupt nicht mit heranziehen, dagegen noch eher diejenigen, in denen gleichzei-
tig reale Wahrnehmungen und Trugwahrnehmungen erlebt werden (Hagen S. 17).
(Einteilung der Sinnestäuschungen.) Die Einteilung der Sinnestäuschungen kann
nicht auf eine, nur allein richtige, sondern auf mannigfache Weise geschehen. Wie
immer bei Phänomenen, die einer durchgreifenden theoretischen und kausalen Erklä-
rung noch nicht unterworfen werden können, gibt es auf der einen Seite Einteilungen,
die zwar sehr bestimmt und klar, aber äußerlich und unbefriedigend sind, etwa die Ein-
teilung der Trugwahrnehmungen nach Sinnesgebieten, auf der andern Seite Eintei-
lungen, die mehr in die Tiefe zu dringen scheinen, die aber nicht zu ganz bestimmten
und präzisen Begriffen führen. Hierzu würde etwa die Unterscheidung der Illusionen
und Halluzinationen zu rechnen sein. Wenn dieser Unterschied als der der Trugwahr-
nehmungen mit und ohne äußeren Reiz definiert wird, scheint er allerdings wohl klar,
ist aber bei Beschränkung auf dieses Merkmal wiederum verflacht.
Bei der Gleichberechtigung mehrerer Einteilungen ist es klar, daß sie alle nur den
Wert von Werkzeugen zur Orientierung haben. Unsere Aufgabe besteht darin, sie alle
zu Worte kommen zu lassen, sie aber möglichst nirgends durcheinander zu werfen.
Man kann einteilen nach Sinnesgebieten, nach dem Inhalt, nach kausalen Beziehun-
gen, nach verstehbaren Abhängigkeiten, nach den Wirkungen, nach theoretischen
Konstruktionen. Bei dieser Verschiedenartigkeit ist eine ganz klar und rücksichtslos
 
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