Die Trugwahrnehmungen
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Analoge Beobachtungen bei anderen Sinnen sind nicht besonders beschrieben.
Doch dürften vielleicht Fälle, wie der Roses, wo ein Santon-vergifteter529 eine Suppe
schlecht riechend fand, oder solche, denen reines Wasser nach Blei schmeckt, hierher
zu rechnen sein. Hier wird nicht halluziniert, insofern erst ein realer Reiz nur eine fal-
sche Empfindungsqualität auslöst. -
Die Veränderung der Wahrnehmung räumlicher Formen bei gleichbleibendem
Gegenstand ist beim Gesichtssinn von Fischer in zwei Arbeiten untersucht.606 Die
Gegenstände werden von Kranken kleiner oder größer oder schief gesehen (vgl. die
eingehendere Wiedergabe später in dem Abschnitt über den Gesichtssinn S. 337).
Krause (S. 847) beobachtete eine Paranoikerin, der Gartenmauern und Bäume unge-
wöhnlich groß und gleichzeitig weit entfernt erschienen.607 -
Schließlich können wir noch kurz die Täuschung in der zeitlichen Form der Wahr-
nehmung erwähnen, obgleich wir damit einen Schritt über unser Gebiet hinaustun.
Denn die Zeit ist nicht bloß Form des sinnlich gegenständlichen Erlebens, sondern
alles Erlebens überhaupt. Zeitanschauungen können als scheinbare Verkürzung oder
Verlängerung durchlebter Zeit auftreten. Einem paranoischen Kranken schienen ein-
mal die Tage wesentlich kürzer als sonst zu sein, ein andermal schrieb er, daß sich der
Eindruck bei ihm festsetzte, als ob einzelne Nächte die Dauer von Jahrhunderten
gehabt hätten. Ein anderer Paranoiker, bei dem sich der Beginn seiner Erlebnisse objek-
tiv auf ein Jahr zurückdatieren ließ, glaubte, es seien seitdem wohl acht bis zehn Jahre
verflossen. Über dies Thema handeln unter andern Griesinger (Lehrbuch S. in),608
Hecker (S. 8).609 Das Erleben scheinbar unermeßlicher Zeitstrecken, auch die obener-
wähnte Mikropsie,610 schildert Baudelaire nach Selbstbeobachtungen anderer in sei-
nen künstlichen Paradiesen (Opium und Haschisch).611 -
| (Illusionen.) Nach dem Referat dessen, was wir über die trügerischen Wahrneh-
mungen wissen, in denen nicht neue unwirkliche Gegenstände, sondern nur wirkliche
Gegenstände anders gesehen werden, wenden wir uns nunmehr den eigentlichen Trug-
wahrnehmungen zu, in denen neue Gegenstände täuschend wahrgenommen werden.
Wir referieren zunächst über drei große Gruppen solcher Trugwahrnehmungen, deren
Aufstellung zwar bestritten ist, die sich aber sicher zur Zeit noch zur Übersicht und zur
Auffassung der Phänomene als unentbehrlich erweisen. Indem wir von der normalen
Wahrnehmung ausgehen und (genetisch) ihre Elemente sich nicht bloß ändern, son-
dern z.T. verschwinden, z.T. zu ihnen neue hinzutreten lassen, kommen wir zu den
Illusionen. Indem wir dann von den normalen Vorstellungen ausgehen und ihnen
(deskriptiv) immer mehr Eigenschaften der Wahrnehmung, wie Unabhängigkeit vom
Willen, Detailliertheit, Deutlichkeit, aber nicht die Leibhaftigkeit der Wahrnehmun-
gen beilegen, kommen wir zu den Pseudohalluzinationen. Illusionen und Pseudohallu-
zinationen erweisen sich als übergangslos verschieden, indem erstere immer den leib-
haftigen Wahrnehmungscharakter, letztere den bildhaften Vorstellungscharakter
bewahren. Von den Illusionen können wir schließlich zu den echten Halluzinationen
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Analoge Beobachtungen bei anderen Sinnen sind nicht besonders beschrieben.
Doch dürften vielleicht Fälle, wie der Roses, wo ein Santon-vergifteter529 eine Suppe
schlecht riechend fand, oder solche, denen reines Wasser nach Blei schmeckt, hierher
zu rechnen sein. Hier wird nicht halluziniert, insofern erst ein realer Reiz nur eine fal-
sche Empfindungsqualität auslöst. -
Die Veränderung der Wahrnehmung räumlicher Formen bei gleichbleibendem
Gegenstand ist beim Gesichtssinn von Fischer in zwei Arbeiten untersucht.606 Die
Gegenstände werden von Kranken kleiner oder größer oder schief gesehen (vgl. die
eingehendere Wiedergabe später in dem Abschnitt über den Gesichtssinn S. 337).
Krause (S. 847) beobachtete eine Paranoikerin, der Gartenmauern und Bäume unge-
wöhnlich groß und gleichzeitig weit entfernt erschienen.607 -
Schließlich können wir noch kurz die Täuschung in der zeitlichen Form der Wahr-
nehmung erwähnen, obgleich wir damit einen Schritt über unser Gebiet hinaustun.
Denn die Zeit ist nicht bloß Form des sinnlich gegenständlichen Erlebens, sondern
alles Erlebens überhaupt. Zeitanschauungen können als scheinbare Verkürzung oder
Verlängerung durchlebter Zeit auftreten. Einem paranoischen Kranken schienen ein-
mal die Tage wesentlich kürzer als sonst zu sein, ein andermal schrieb er, daß sich der
Eindruck bei ihm festsetzte, als ob einzelne Nächte die Dauer von Jahrhunderten
gehabt hätten. Ein anderer Paranoiker, bei dem sich der Beginn seiner Erlebnisse objek-
tiv auf ein Jahr zurückdatieren ließ, glaubte, es seien seitdem wohl acht bis zehn Jahre
verflossen. Über dies Thema handeln unter andern Griesinger (Lehrbuch S. in),608
Hecker (S. 8).609 Das Erleben scheinbar unermeßlicher Zeitstrecken, auch die obener-
wähnte Mikropsie,610 schildert Baudelaire nach Selbstbeobachtungen anderer in sei-
nen künstlichen Paradiesen (Opium und Haschisch).611 -
| (Illusionen.) Nach dem Referat dessen, was wir über die trügerischen Wahrneh-
mungen wissen, in denen nicht neue unwirkliche Gegenstände, sondern nur wirkliche
Gegenstände anders gesehen werden, wenden wir uns nunmehr den eigentlichen Trug-
wahrnehmungen zu, in denen neue Gegenstände täuschend wahrgenommen werden.
Wir referieren zunächst über drei große Gruppen solcher Trugwahrnehmungen, deren
Aufstellung zwar bestritten ist, die sich aber sicher zur Zeit noch zur Übersicht und zur
Auffassung der Phänomene als unentbehrlich erweisen. Indem wir von der normalen
Wahrnehmung ausgehen und (genetisch) ihre Elemente sich nicht bloß ändern, son-
dern z.T. verschwinden, z.T. zu ihnen neue hinzutreten lassen, kommen wir zu den
Illusionen. Indem wir dann von den normalen Vorstellungen ausgehen und ihnen
(deskriptiv) immer mehr Eigenschaften der Wahrnehmung, wie Unabhängigkeit vom
Willen, Detailliertheit, Deutlichkeit, aber nicht die Leibhaftigkeit der Wahrnehmun-
gen beilegen, kommen wir zu den Pseudohalluzinationen. Illusionen und Pseudohallu-
zinationen erweisen sich als übergangslos verschieden, indem erstere immer den leib-
haftigen Wahrnehmungscharakter, letztere den bildhaften Vorstellungscharakter
bewahren. Von den Illusionen können wir schließlich zu den echten Halluzinationen
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