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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0356
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Die Trugwahrnehmungen

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c) Die EmpfindungseZemente der Vorstellungen, etwa das Rot des vorgestellten
Bleistifts, können, besonders im Augenblick sofort nach der Wahrnehmung, den Emp-
findungselementen »adäquat« sein. Ob sie dann identisch oder qualitativ übergangs-
los verschieden (wenn auch adäquat) sind, ist noch nicht allgemeingültig entschie-
den. Nun sind die Vorstellungen bezüglich der Mehrzahl ihrer Elemente nicht adäquat.
Manche Menschen stellen sich optisch sogar alles grau vor (dieses Grau ist einem mög-
lichen wahrgenommenen Grau wieder adäquat, aber nicht etwa dem Braun, für das es
stellvertretend in der Vorstellung seinen Platz hat). In den Pseudohalluzinationen sind
nun nicht bloß alle Elemente detailliert vorhanden, sondern sie sind auch adäquat.
Während sonst viele Farben in den Vorstellungen durch farblosere Nuancen und durch
eine geringere Zahl von solchen vertreten werden, treten in den Pseudohalluzinatio-
nen in überwältigender Mehrzahl die adäquaten Elemente auf. Diese Eigenschaft der
Pseudohalluzinationen wird vielfach mißverständlich ihre »Intensität« oder »Lebhaf-
tigkeit« genannt1.
Zusammenfassend würden wir also die Pseudohalluzinationen von den echten Hal-
luzinationen durch ihren Mangel an Leibhaftigkeit und durch ihr Erscheinen im subjek-
tiven Raum unterscheiden, von den Erinnerungs- und Phantasiebildern aber durch ihre
Unabhängigkeit vom Willen, durch Detailliertheit, Stetigkeit und Adäquatheit der Emp-
findungselemente gegenüber entsprechenden Wahrnehmungen (Lebhaftigkeit).
Zwischen Pseudohalluzinationen und echten Halluzinationen liegt ein übergangs-
loser Abgrund, zwischen den Pseudohalluzinationen und Phantasiebildern dagegen
liegen Übergänge. So können Pseudohalluzinationen die Detailliertheit und Wahrneh-
mungsadäquatheit haben, aber abhängig vom Willen sein; sie können in der Detail-
liertheit viele Stufen der Vollkommenheit einnehmen usw. Ein Kranker schildert, daß
er eine Zeitlang nach seiner akuten Psychose sich alles viel deutlicher und lebhafter
habe vorstellen können. Er sah mit dem inneren Auge das ganze Schachbrett mit Figu-
ren zum Blindspielen. Das verlor sich dann zu seinem Bedauern bald. Die Selbstschil-
derungen verschiedener Menschen bei Fechner (Psychophysik, 2. Band)631 zeigen, wie
verschieden die sinnlichen Eigenschaften der Vorstellungen bei verschiedenen Indi-
viduen sind. Von einigen Zahlenkünstlern und Malern wird berichtet, wie enorm
deutliche sinnliche Vorstellungen sie hatten. Diese Übergänge kommen nun aber nicht
bei jedem Menschen, der Pseudohalluzinationen hat, vor. Vielmehr hat ein Kranker
z.B. ganz gewöhnliche Vorstellungen und außerdem ausgeprägte Pseudohalluzinatio-
nen mit allen geschilderten Merkmalen, während die Zwischenstufen bei ihm nicht
vorkommen. Bei anderen sind wiederum auch einige der Zwischenstufen da. So ergibt
sich eine Fülle von Variationen.

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Hierüber S. 242 ff.
 
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