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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0357
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Die Trugwahrnehmungen

Zur Veranschaulichung geben wir nun noch einige Fälle wieder:
Perewalow (Kandinsky S. 93), ein chronischer Paranoiker, unterschied ein direktes Sprechen
der Stimmen von außen durch Wände und Röhren von dem Sprechen vermittelst des Stromes,
bei dem die Verfolger ihn etwas innerlich zu hören zwingen, wobei aber diese inneren Stimmen
weder außen lokalisiert noch leibhaftig sind. Von letzteren wiederum unterschied er die
gemachten Gedanken ohne jegliches inneres Hören. Hier werden die Gedanken ohne weitere
Vermittlung von den Verfolgern in seinen Kopf geleitet.
Frau Kraus (S. 2/4)632 gab an, sie habe zwei Gedächtnisse. Mit dem einen könne sie absicht-
lich wie andere Menschen sich an alles erinnern, durch das andere treten unwillkürlich vor ihr
Bewußtsein innere Stimmen und innere Bilder. Von den inneren Stimmen unterschied sie wie-
der die äußeren Stimmen.
Der Strumpfwirker Fischer (Koppe)633 hatte dreierlei Gehörsempfindungen: 1. Sausen, Brau-
sen, Klirren. 2. Rufe, Musikstücke, Lieder, die lauteste Stimme Gottes, die wirklich durchs Ohr
hindurch muß. 3. Eine leise Stimme Gottes; »da brauche ich gar nicht das Ohr dazu«. Diese hat
mehrere Abstufungen. Die leiseste ist so, daß ein anderer sagen würde: das ist Denken. Sie ist
kaum zu bemerken, daß man sich fragt: was hast du da eigentlich gehört.
(EchteHalluzinationen.) Von den Wahrnehmungen gelangten wir zu den Illusionen,
von den Vorstellungen zu den Pseudohalluzinationen. Beiden Phänomenen stehen
die echten Halluzinationen gegenüber. Die echten Halluzinationen sind leibhaftige
Wahrnehmungen im objektiven Raum, die nicht aus realen Wahrnehmungen durch
Umbildung, sondern völlig neu entstanden sind.
Als Vergleichsobjekte für echte Halluzinationen aus dem normalen Leben können
wir die Nachbilder, einen Teil der Erscheinungen des Sinnengedächtnisses und einen Teil
der von Joh. Müller beschriebenen phantastischen Gesichtserscheinungen verwerten.
Die Nachbilder sind allgemein bekannt. Es sind leibhaftige, ganz flache, nicht kör-
268 perliche Erscheinungen, die in den äußeren Raum projiziert werden | und von den
Bewegungen des Auges abhängig sind. Schilderung bei Fechner S. 469 ff.; außerdem
Wundt, Physiologische Psychologie.634
Von diesen Nachbildern (gleich Blendungsbildern von Müller635 und Purkinje636)
sind zu unterscheiden die Erinnerungsnachbilder (Fechner,637 gleich den Nachbildern
bei Purkinje). Dies sind durch Detailliertheit und Wahrnehmungsadäquatheit der
Elemente besonders auffallende Vorstellungen, die sofort nach der Wahrnehmung zu
beobachten sind. Schilderung bei Fechner S. 491 ff.
Die Erscheinungen des Sinnengedächtnisses (Fechner S. 500) gleichen den Nachbil-
dern, insofern sie in das objektive dunkle Sehfeld des Augenschwarz projiziert sind
(Henle,638 Fechner) oder sogar im objektiven Raum gesehen werden. Obersteiner
berichtet aus eigener Erfahrung Phänomene des Sinnengedächtnisses (S. 252):
»Als Student hatte ich mich vormittags viel mit der Untersuchung von Injektionspräparaten
abgegeben. Einige Stunden später, nachdem die Augen sicherlich ausgeruht waren, tauchten
plötzlich auf dem vor mir liegenden Blatte Papier die leuchtend rot gefärbten Gefäßbäumchen
 
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