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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0365
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322

Die Trugwahrnehmungen

aus dem mit Sicherheit oder auch nur mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das
frühere Bestehen von Sinnestäuschungen geschlossen werden könnte.
Bestehen aber auch keine eindeutigen Beziehungen bestimmter Ursachen oder
bestimmter Hirnbefunde zu Sinnestäuschungen, die immer deren notwendige Folge
sein müßten, so kennt man doch eine große Reihe hochinteressanter Fälle, in denen
eine Abhängigkeit tatsächlich bestehender Sinnestäuschungen von solchen Befunden
im Einzelfall möglich, wahrscheinlich oder gar zweifellos war. Diese Befunde können
nie die alleinige Ursache gewesen sein, aber ohne sie wäre es in vielen Fällen überhaupt
275 nicht zu Täuschungen | gekommen oder hätten die Täuschungen nicht ihre besondere
Form angenommen.
Wir referieren zunächst die Abhängigkeit des Auftretens der Trugwahrnehmungen
von somatischen Erkrankungen der peripheren Sinnesorgane, des Sinnhirns und von
äußeren Reizen, und dann die Abhängigkeit der Form und des Inhalts der Trugwahrneh-
mungen von solchen äußeren Reizen oder von bestimmten Erkrankungen.
Fälle von Halluzinationen bei Erkrankungen der peripheren Sinnesorgane sind in größe-
rer Zahl veröffentlicht. Einige der interessantesten mögen kurz wiedergegeben werden:
Aus der reichhaltigen Arbeit Uhthoffs Fall 1, S. 241 ff.: Alte Chorioiditis.538 Zentrales positi-
ves Skotom.665 Damit etwa 20 Jahre ohne besondere Erscheinungen. Eines Tages dumpfes Gefühl
im Kopf und Mattigkeit. »An demselben Tage bemerkte die Kranke plötzlich, als sie aus dem Fen-
ster sah, >Rebenlaub< auf dem Pflaster des Hofes, welches sich bewegte und in der Größe wech-
selte. Diese Erscheinung der Blätter bestand einige Tage lang, dann wurde ein Baum mit Knos-
pen daraus. Wenn sie auf der Straße spazieren geht, sieht sie den Baum zwischen den wirklichen
Sträuchern wie in einem Nebel auftauchen. Bei genauerer Beobachtung unterscheidet sie die
wirklichen Blätter von den >fingierten<, letztere sind >wie gemalt<, ihre Farbe ist mehr blaugrau,
>wie getuscht*, und alles hat eine gleichmäßige Farbe, >während die natürlichen Blätter doch oft
eine verschiedene Farbe, heller und dunkler, haben*«. »Die Phantasieblätter sind wie aufgeklebt,
während die natürlichen abstehen von der Wand.« »Die Scheinblätter sind in der Entfernung
größer, ganz in der Nähe sehr klein, wie ein Pfennig und ganz rund.« »Die wirklichen Blätter
sind öfter verschieden geformt, gerollt usw., während die Scheinblätter glatt und platt liegen.« -
Nach einiger Zeit sieht Pat. auch »Blumen von überirdischer Schönheit, in schönen und allen
möglichen Farben, ferner kleine Sterne, Arabesken, kleine Buketts; alles wundervoll«.666 Beim
genaueren Studium machte die sehr intelligente Pat. noch folgende Angaben über die Erschei-
nungen. Die Blätter, Sträucher usw. zeigen sich lokalisiert in das Bereich der positiven zentra-
len Gesichtsfelddefekte, und das wechselt die Größe sehr mit der Entfernung. In 10 cm z.B. hat
die Erscheinung einen Durchmesser von ca. 2 cm. Auf ein gegenüberliegendes Haus projiziert,
ist sie so groß, daß sie ein ganzes Fenster deckt. - Bei Bewegungen der Augen wandern die
Erscheinungen mit, ja, Pat. merkt gerade an diesem Mitwandern, daß es keine wirklichen
Objekte sind, welche stillstehen.667 - Bei geschlossenen Augen verschwinden diese Erscheinun-
gen und machen dann eigentümlichen Gebilden Platz (»goldener Stern auf schwarzem Grund
und darum herum häufig ein konzentrisch blauer und roter Ring«), - Die halluzinierten Dinge
verdecken den Hintergrund, sind undurchsichtig, wie Pat. bestimmt angibt. - Die Dauer der
Erscheinungen war eine recht lange, Monate hindurch, allerdings in wechselnder Intensität.
 
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