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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0368
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Die Trugwahrnehmungen

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(Abhängigkeit von äußeren Reizen.) In den Fällen von Abhängigkeit der Halluzinatio-
nen von Erkrankungen der Sinnesorgane pflegt man die Vorstellung bereit zu halten,
daß der Reiz dieser Erkrankungen die Ursache war. Auch zu äußeren Reizen bei gesun-
den Sinnesorganen stehen die Halluzinationen in merkwürdigen Beziehungen.
Ein Kranker Sanders689 (Alkoholpsychose) hörte im Badehaus jedesmal Mädchenstimmen,
wenn aus dem Hahne das Wasser lief. Sobald der Hahn geschlossen wurde, hörte er auch die
Stimmen nicht mehr. Er hörte dabei beides: das Laufen des Wassers und die Stimmen.
Ein Kranker Kahlbaums (S. 7) hörte bei der Landarbeit, wenn es still war, nichts. Sprachen
jedoch in der Ferne Menschen, so hörte er diese undeutlich sprechen und gleichzeitig außer-
dem die alten Stimmen mit ähnlichen Inhalten wie früher, als er sie noch spontan hörte.
Ein weiterer interessanter Fall bei Kandinsky S. 105 Anm.
In solchen Fällen, in denen die reale Wahrnehmung nicht illusionärer Bestandteil
einer Trugwahrnehmung wird, jedoch notwendige Bedingung ist, bei deren Anlaß
neben dieser realen Wahrnehmung echte Halluzinationen auftreten, spricht Kahlbaum
von funktionellen Halluzinationen. Solche Fälle sind auch auf dem Gebiete des Gesichts-
sinns beobachtet. Nur bei offenen Augen wurde halluziniert, bei Schließen der Augen
und bei Verdunklung des Zimmers verschwanden die Halluzinationen (Hagen S. 61,
dort weitere Literatur). Demgegenüber tritt die Mehrzahl der Halluzinationen gerade
umgekehrt vorwiegend im Dunkeln, bei geschlossenen Augen und im Stillen auf. Nach
dem allerdings wohl mehr äußerlichen Merkmal, daß Stimmen nicht mehr bei ver-
stopften Ohren, sondern nur bei offenem Gehörgang auftreten, können wir den Fall
Picks hierherstellen (3, S. 332):690
Langjährige Halluzinantin. Sie ist links sehr schwerhörig, rechts hört sie gut. Sie hört ihre
Stimmen nur rechts. Wenn man das rechte Ohr mit Watte verstopft, hört sie keine Stimmen, |
sondern nur ein Sausen. Nimmt man die Watte fort, hört sie sogleich wieder die alten Stim-
men. - Links findet man als Ursache der Schwerhörigkeit einen alten Cerumenpfropf. Nach Ent-
fernung desselben hört sie ihre Stimmen beiderseits.
Von den funktionellen Halluzinationen, die eine Empfindung im gleichen Sinnes-
gebiet als Bedingung brauchen, unterscheidet Kahlbaum die Reflexhalluzinationen, die
durch Reize von andern Sinnesgebieten her ausgelöst werden (S. 34 ff.). Koppe beob-
achtete (S. 55), wie in Abhängigkeit von Schmerzreizen bei Untersuchung des äußeren
Gehörgangs Stimmen auf traten. Ähnliches beobachtete Jolly bei einem Falle, der bei
Einwirkung des elektrischen Stroms überhaupt zum erstenmal Stimmen hörte (S. 519-
520). »Die Erregung trat nicht etwa, wie bei direkter Wirkung auf den Acusticus,691 nur
bei den bestimmten Momenten der Kathodenschließung und der Kathodenöffnung
ein, sondern erfolgte in ziemlich regelloser Weise bei allen denjenigen Einwirkungen
des Stroms, welche Schmerz erzeugen.«692 - Moravcsik schildert folgenden klassi-
schen Fall einer Reflexhalluzination:

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