Metadaten

Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0383
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
340

Die Trugwahrnehmungen

sprechen. Alles ist jedoch auch beobachtet bei Fällen, in denen an den Augen nichts
zu finden war. -
Einer besonderen Besprechung bedürfen die hemianopischen Halluzinationen (dazu
besonders Uhthoff S. 256 ff. und Henschen). Diese oft beobachteten Erscheinungen
treten fast nur bei Erkrankungen des Occipitallappens auf. Nur ein Fall wurde beobach-
tet (de Schweinitz)/64 bei dem ein Tumor am Tractus opticus als Bedingung angesehen
werden konnte, und ein sehr interessanter Fall (Hoche), der als funktionell gedeutet
291 wurde. Die Halluzina|honen bei den zu Hemianopsie führenden Erkrankungen erschei-
nen durchweg im erblindeten Gesichtsfeld. Nur wenige Fälle sind beobachtet, bei denen
sie in der sehenden Hälfte auftraten. Die Art der hemianopischen Halluzinationen zeigt
zwei Typen. Eine charakteristische Art tritt als konstante, gleichmäßige, einförmige,
bewegungslose Halluzination auf, die allmählich verblaßt. Die anderen sind von wech-
selndem Inhalt, von großer Mannigfaltigkeit, und zeigen Bewegungen. Die halluzinier-
ten Dinge sind fast immer ganze, nur selten (Henschen) wurden halbierte Menschen
und Gegenstände gesehen.
(Gehörssinn.) Beim Gehörssinn sowohl wie beim Gesichtssinn können wir entotische
(rsp. entoptische) Phänomene, subjektive Empfindungen und Halluzinationen unterschei-
den. Entotische wie entoptische Phänomene sind solche, die durch Vorgänge außerhalb
der Aufnahmeapparate, die die äußeren physikalischen Vorgänge in Nervenvorgänge
transformieren, bedingt sind (Geräusche bei Verstopfung des äußeren Gehörgangs,
Knarren bei Katarrhen, Hören des Pulses usw. beim Gehörssinn, mouches volantes/65
astigmatische Erscheinungen, monokuläres Doppelsehen usw. beim Gesichtssinn). Sub-
jektive Empfindungen entstehen innerhalb der nervösen Substanz und unterscheiden
sich von den Halluzinationen dadurch, daß sie elementar und nicht gegenständlich,
dinghaft sind. Von diesen subjektiven Empfindungen sind die Halluzinationen im Ein-
zelfall wie prinzipiell nicht sicher zu unterscheiden. Die Halluzinationen sind vorwie-
gend komplexe Phänomene gegenüber elementaren Sinnesvorgängen. Werden bei letzte-
ren einzelne Empfindungen, Geräusche, Klänge, Rauschen, Knallen, Zischen erlebt,
ohne notwendig vergegenständlicht zu werden, so werden bei ersteren Gegenstände und
Vorgänge wahrgenommen, sei es daß Worte, Gespräche, Lispeln und Wispern, verwor-
renes Gerede (Phoneme), sei es daß Melodien, Trompetenstöße, Glockenläuten, Orgel-
spiel (musikalische Trugwahrnehmungen, darüber zusammenfassend Proskauer)766
gehört werden. Einige Beispiele mögen wieder zur Veranschaulichung dienen:
Bekannt ist das Klingen nach starken Chiningaben/67 nach Blutverlusten usw.
Selten kommt ein Hören einzelner Klänge bei geistig gesunden Personen in der Form der
Erscheinungen des Sinnengedächtnisses vor. Moos768 berichtet von einem Lehrer, der jedesmal,
wenn er den Gesang seiner Schüler am Klavier begleitet hatte, eine Stunde lang zwei musikali-
sche Töne hörte, und zwar immer dieselben, g und h (Neuralgie des Acusticus nach Moos). Ähn-
liche Fälle sind zusammengestellt bei Proskauer.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften