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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0382
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Die Trugwahrnehmungen

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Ein Kranker der Dementia praecox-Gruppe schildert: »Sie machen, daß vor meinen Augen
Gestalten von schwarzen Fliegen erscheinen, worauf es oftmals vor mir trüb wird und ich die
Gegenstände nicht mehr sehe. Dann, daß ich alles gelb sehe und grell, daß es mich blendet«
(Dees).759
Kandinsky schildert (S. 460):
Einige von meinen Halluzinationen waren verhältnismäßig blaß und undeutlich, so wie die
Gegenstände einem Kurzsichtigen erscheinen, dessen Augen sich an die Entfernung noch nicht
angepaßt haben. Andere wieder waren so lebhaft und kompliziert, glänzten in allen Farben wie
wirkliche Gegenstände. Diese lebhaften Gesichtsbilder verdeckten vollständig die realen Gegen-
stände. Während einer Woche sah ich an einer und derselben mit glatten einfarbigen Tapeten
beklebten Wand eine Reihe großer in wunderliche, vergoldete Rahmen eingefaßter Bilder al
fresco, Landschaften, Küstenansichten, zuweilen Porträts, wobei die Farben ebenso lebhaft wie
in wirklichen Bildern italienischer Künstler waren.760
Eine Kranke sah in der Wanne undeutlich Tiere, Ratten, Frösche, Käfer usw. Sie greift danach,
um sich immer wieder zu überzeugen, daß sie nicht da sind. Den Arzt, die Wärter sah sie als
phantastische Riesengestalten, wenn sie wirklich vor ihr standen (Skliar S. 877).761 Dieselbe
Kranke hatte vorher Visionen. Sie suchte sich zu überzeugen, ob diese Visionen Gespenster sind;
zu diesem Zwecke schaute sie dieselben fest an, da bekamen aber die Bilder ein noch schreckli-
cheres Aussehen; sie stellte dann dem Gespenst irgend welche unsinnige Fragen, über die sie
selber lachte, oder sie wandte sich zu ihm und fragte: wer bist du, oder: woher bist du? und dann
beruhigte sie sich (Skliar S. 871).762
Ein Kranker erzählt (Koppe S. 47):
Ich sehe häufig Männer, am Tage schwarz und nachts feurig. Das fängt ganz von selber an; da
fängt es sich an zu drehen und da fange ich an es zu sehen: Männer, die an den Wänden herum-
gehen und wie ein Leichenzug schleichen; die Betten und Fenster sehe ich dann nicht in der
Nacht; alles ist schwarz und die Männer feurig, so wie der Himmel schwarz ist und die Sterne feu-
rig. Sie bewegen sich einer hinter dem andern, sie machen Faxen und nicken mir zu und verhöh-
nen mich mit Gesichtern und manchmal springen und tanzen sie auch. Sie scheinen mir immer
von rechts nach links um mich herum zu gehen. Ich sehe auch Schlangen, nicht stärker als ein
Strohhalm, die bewegen sich ganz ordentlich, nachts auch feurig. Bei Tage kommt’s auch; da
sehe ich dann die Männer und Schlangen schwarz; auch wenn ich hier in der Stube bei den
andern bin, gehen sie an der Wand herum. Es dauert ein paar Minuten, ehe ich wieder weiß, daß
ich unter den Kranken hier bin, aber auch wenn ich wieder das Natürliche sehe, kommen noch
immer einzelne Männer zwischendurch. Wenn das kommt, habe ich meinen Verstand nicht,
der ist dann halb weg; es kommt mit einem Male, ich fühle mit einem Male das Pulsieren in den
Adern am Hals und am Arm, dann kommt’s in die Höhe; ich habe mich unters Bett gesteckt, da
habe ich sie aber auch noch gesehen, dann fängt sich das Bett, die Stühle an zu drehen.763
Über den Ort der Entstehung der Gesichtshalluzinationen in dem Sinne einer Bezie-
hung zu Vorgängen an bestimmten Stellen des Sinnesapparates oder Nervensystems
ist viel gehandelt worden. Insbesondere hat man nach Kriterien gesucht, um die peri-
phere Entstehung von der zentralen zu unterscheiden. Beimischung elementarer Emp-
findungen, Verschwinden bei Augenschluß, Einseitigkeit, Wandern mit den Augen-
bewegungen, Verdopplung durch Bulbusverschiebung sollen für peripheren Ursprung
 
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