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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0395
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Die Trugwahrnehmungen

Danillo797 injizierte Hunden Absinth und rief dadurch ein Delirium hervor: die Ohren wer-
den gespitzt, ein bestimmter Punkt wird mit den Augen fixiert und unter ängstlichem Heulen
und Bellen sucht der Hund zu beißen, macht Abwehrbewegungen. Dieses »Bild eines durch
schreckhafte Halluzinationen gequälten Tieres« konnte Danillo auch hervorrufen, wenn die
Sehhügel zerstört waren, aber nicht, wenn er die Rinde durch flache Schnitte abgetragen hatte.
Das Für und Wider dieser Theorien hat Goldstein eingehend erörtert. Wir kön-
nen diesen lokalisatorischen Bestrebungen nur soweit Bedeutung zuerkennen, als sie
entweder eine lokalisatorische Abhängigkeit direkt aufzeigen können oder als Hypo-
these für Fragestellungen zu somatischen Untersuchungen, bei denen möglicherweise
solche Aufzeigung geschehen kann, dienen. Dagegen muß ihnen jede Bedeutung zur
Interpretation psychologischer Tatsachen, wenn sie nicht auf jener Basis beruhen, abge-
sprochen werden.
Mit den Vorstellungen über anatomische Lokalisation verbinden sich vielfach sol-
che über funktionelle Grundlagen. Man spricht von einer Erregbarkeitssteigerung der
302 kortikalen Sinnesflächen, stellt Erwägungen an, ob autochthon | entstandene Erre-
gungen oder Erregungen durch Zuleitung die Ursache der dort entstandenen Halluzi-
nationen sind. Diese Zuleitung kann eine zentripetale von den peripheren Apparaten
her oder eine zentrifugale sogar von der »Psyche« her sein (die Theorien, die den Ent-
stehungsort der Halluzinationen in der Peripherie sehen, nehmen eine zentrifugale
Erregungsleitung bis in die Sinnesorgane, z.B. bis in die Retina an). Diese Theorien sind
mit folgender Vorstellung verknüpft: jedem psychischen Vorgang denkt man sich
einen somatisch-funktionellen zugeordnet. Indem man diese funktionellen Vorgänge
nicht gerade anatomisch-lokalisatorisch aber doch eben funktionell-lokalisatorisch
auffaßt, steigt man mit der Lokalisation über die zentralen Sinnesflächen hinaus in
verschiedene Stationen des Reichs des dem Seelischen Zugeordneten. So erklärt man
dann etwa, daß Gedanken zu Halluzinationen werden, daß manche Halluzinationen
willkürlich hervorgerufen wurden und den Unterschied der vermittelten und unver-
mittelten Halluzinationen. Indem die den psychischen Vorgängen zugeordneten
funktionell-somatischen Prozesse rückläufig die Sinnesflächen reizen, entstehen die
Reperzeptionshalluzinationen (Kahlbaum),798 die den vermittelten entsprechen;
indem eine autochthone Erregung in den Sinnesflächen stattfindet, entstehen die Per-
zeptionshalluzinationen, die den unvermittelten entsprechen. Diese werden auch
wohl Wahrnehmungstäuschungen, jene Einbildungstäuschungen genannt. Man
unterscheidet weiter den Fall, daß die rückläufige Erregung eine abnorm starke ist, oder
den, daß diese normal, aber die Sinnesfläche übererregbar ist usw. Auf die Frage, wel-
che Reize jene Erregungen oder jene gesteigerte Erregbarkeit bedingen, hat man zur Zeit
keine Antwort, stellt nur fest, daß es ganz verschiedene Reize sein könnten, und daß
der Qualität der Reize kein Einfluß auf die Qualität der Sinnestäuschungen zuzukom-
men brauche. Oder man hilft sich mit einer Analogie: es handle sich um Krampfvor-
gänge in den sensoriellen Mechanismen (Hagen).
 
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