Die phänomenologische Forschungsrichtung in der Psychopathologie
381
tig wird. Wir reden sowohl bei der phänomenologischen Vergegenwärtigung wie bei
diesem Erfassen des Auseinanderhervorgehens von »verstehen«. Um Verwechslungen
zu vermeiden, nennen wir das phänomenologische Verstehen der seelischen Zustände
das statische Verstehen, das nur die Gegebenheiten, Erlebnisse, Bewußtseinsweisen
erfaßt und die Grundlage ihres Begrenzens und Charakterisierens ist. Das Verstehen
der Zusammenhänge seelischer Erlebnisse, des Hervorgehens des Seelischen aus See-
lischem nennen wir das genetische Verstehen. Hat es nun die Phänomenologie nicht mit
diesem genetischen Verstehen zu tun, ist sie vielmehr von diesem durchaus gesondert
zu behandeln, hat sie doch eventuell zum Gegenstand regelmäßige Folgen von Seeli-
schem, die in Wirklichkeit erlebt werden und zusammen eine eigenartige phänome-
nologische Einheit bilden. Vielleicht ist das Willenserlebnis hierfür ein Beispiel. Diese
phänomenologische Folge ist etwas ganz anderes als ein verstandenes Auseinanderhervor-
gehen. Wir beschränken die Phänomenologie auf das statisch Verständliche.
Es ist selbstverständlich, daß wir, wenn wir die Psychopathologie als Ganzes ansehen,
unser eigentliches Interesse in dem genetisch Verständlichen, in außerbewußten Abhän-
gigkeitsbeziehungen, in der Feststellung von körperlichen Ursachen seelischer Vorgänge,
mit einem Wort in den Zusammenhängen finden. Die Phänomenologie lehrt uns nur die
Formen kennen, in denen alles Erleben, alles seelisch Wirkliche geschieht, sie lehrt uns
nicht die Inhalte des persönlichen Einzelerlebens und nicht die außerbewußten Grund-
lagen kennen, auf denen dies Seelische wie der Schaum auf dem Meere als dünne Ober-
fläche schwimmt. In die Tiefen dieses Außerbewußten zu dringen wird immer wegen der
erkannten Zusammenhänge mehr reizen, als bloß phänomenologische Feststellungen
zu machen, deren genaue Erledigung doch die Vorbedingung für alle weiteren Untersu-
chungen ist. Allein in den phänomenologisch gefundenen Formen spielt sich das unse-
rem unmittelbaren Erfassen zugängliche wirkliche Seelenleben ab, das zu begreifen wir
schließlich allein alle die außerbewußten Zusammenhänge untersuchen.
Zum Schluß deuten wir noch einzelne Aufgaben der Phänomenologie an. Es ist über-
haupt kein Gebiet psychopathologischer Phänomenologie vorhanden, das abge-
schlossen wäre. Selbst da, wo ein Phänomen anschaulich klar ist, wie bei manchen
Arten von Trugwahrnehmungen, ist die gute Kasuistik, die als Erfahrungsbeleg dienen
kann, so spärlich, daß sorgfältig beschriebene Fälle noch immer von großem Werte
sind. Bezüglich der Arten von Trugwahrnehmungen, die besonders bei den höheren
Sinnen mit Erfolg zu untersuchen sind, ist noch viel zu tun. Man braucht nur an die
Frage der Gesichtstäuschungen im objektiven Raum gleichzeitig mit realen Wahrneh-
mungen zu denken. Die Phänomenologie der Wahnerlebnisse ist kaum in Angriff
genommen worden. Was darüber existiert, steckt in den Arbeiten über Gefühle als
erstes Symptom der Paranoia. Die Phänomenologie der pathologischen Gefühle ist
unglaublich ärmlich. Das Beste ist in den ausgezeichneten Arbeiten Janets816 zu fin-
381
tig wird. Wir reden sowohl bei der phänomenologischen Vergegenwärtigung wie bei
diesem Erfassen des Auseinanderhervorgehens von »verstehen«. Um Verwechslungen
zu vermeiden, nennen wir das phänomenologische Verstehen der seelischen Zustände
das statische Verstehen, das nur die Gegebenheiten, Erlebnisse, Bewußtseinsweisen
erfaßt und die Grundlage ihres Begrenzens und Charakterisierens ist. Das Verstehen
der Zusammenhänge seelischer Erlebnisse, des Hervorgehens des Seelischen aus See-
lischem nennen wir das genetische Verstehen. Hat es nun die Phänomenologie nicht mit
diesem genetischen Verstehen zu tun, ist sie vielmehr von diesem durchaus gesondert
zu behandeln, hat sie doch eventuell zum Gegenstand regelmäßige Folgen von Seeli-
schem, die in Wirklichkeit erlebt werden und zusammen eine eigenartige phänome-
nologische Einheit bilden. Vielleicht ist das Willenserlebnis hierfür ein Beispiel. Diese
phänomenologische Folge ist etwas ganz anderes als ein verstandenes Auseinanderhervor-
gehen. Wir beschränken die Phänomenologie auf das statisch Verständliche.
Es ist selbstverständlich, daß wir, wenn wir die Psychopathologie als Ganzes ansehen,
unser eigentliches Interesse in dem genetisch Verständlichen, in außerbewußten Abhän-
gigkeitsbeziehungen, in der Feststellung von körperlichen Ursachen seelischer Vorgänge,
mit einem Wort in den Zusammenhängen finden. Die Phänomenologie lehrt uns nur die
Formen kennen, in denen alles Erleben, alles seelisch Wirkliche geschieht, sie lehrt uns
nicht die Inhalte des persönlichen Einzelerlebens und nicht die außerbewußten Grund-
lagen kennen, auf denen dies Seelische wie der Schaum auf dem Meere als dünne Ober-
fläche schwimmt. In die Tiefen dieses Außerbewußten zu dringen wird immer wegen der
erkannten Zusammenhänge mehr reizen, als bloß phänomenologische Feststellungen
zu machen, deren genaue Erledigung doch die Vorbedingung für alle weiteren Untersu-
chungen ist. Allein in den phänomenologisch gefundenen Formen spielt sich das unse-
rem unmittelbaren Erfassen zugängliche wirkliche Seelenleben ab, das zu begreifen wir
schließlich allein alle die außerbewußten Zusammenhänge untersuchen.
Zum Schluß deuten wir noch einzelne Aufgaben der Phänomenologie an. Es ist über-
haupt kein Gebiet psychopathologischer Phänomenologie vorhanden, das abge-
schlossen wäre. Selbst da, wo ein Phänomen anschaulich klar ist, wie bei manchen
Arten von Trugwahrnehmungen, ist die gute Kasuistik, die als Erfahrungsbeleg dienen
kann, so spärlich, daß sorgfältig beschriebene Fälle noch immer von großem Werte
sind. Bezüglich der Arten von Trugwahrnehmungen, die besonders bei den höheren
Sinnen mit Erfolg zu untersuchen sind, ist noch viel zu tun. Man braucht nur an die
Frage der Gesichtstäuschungen im objektiven Raum gleichzeitig mit realen Wahrneh-
mungen zu denken. Die Phänomenologie der Wahnerlebnisse ist kaum in Angriff
genommen worden. Was darüber existiert, steckt in den Arbeiten über Gefühle als
erstes Symptom der Paranoia. Die Phänomenologie der pathologischen Gefühle ist
unglaublich ärmlich. Das Beste ist in den ausgezeichneten Arbeiten Janets816 zu fin-