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Die phänomenologische Forschungsrichtung in der Psychopathologie
328 den, in | denen aber auf sorgfältige Begrenzung und Ordnung wenig Wert gelegt ist'.817
Das Persönlichkeitsbewußtsein ist von Oesterreich systematisch bearbeitet worden.
Für diese Probleme würden phänomenologische Schilderungen von Psychiatern,818
die das Material in Händen haben, und Selbstschilderungen, die eingehender als die
bisherigen sind, den größten Wert haben.
In der Histologie wird verlangt, man solle sich bei der Hirnrindenuntersuchung
von jedem Fädchen, jedem Körnchen Rechenschaft geben. Ganz analog fordert die
Phänomenologie: man soll sich von jedem seelischen Phänomen, jedem Erlebnis Rechen-
schaftgeben, das in der Exploration der Kranken und in ihren Selbstschilderungen zutage tritt.
Man soll sich auf keinen Fall mit dem Gesamteindruck und einigen ad hoc herausge-
holten Details zufrieden geben, sondern von jeder Einzelheit wissen, wie man sie auf-
zufassen und zu beurteilen hat. Verfährt man einige Zeit auf diese Weise, dann wird
einem einerseits manches weniger wunderbar, was man oft sah und was der j enige, der
nur mit dem Gesamteindruck arbeitet, sich nicht bewußt gemacht hat und je nach der
augenblicklichen Richtung seiner Eindrucksfähigkeit immer wieder erstaunlich und
noch nie dagewesen findet; andererseits aber achtet man auf das, was einem wirklich
unbekannt ist, und gerät in begründetes Staunen. Es ist keine Gefahr, daß dies Stau-
nen je aufhöre.
Es ist selbstverständlich, daß viele Psychiater schon durchaus so verfahren und es
mit Recht als eine Anmaßung empfänden, wenn ihnen damit Neues gesagt werden
sollte. Aber es ist die phänomenologische Einstellung durchaus nicht so verbreitet,
daß man sie nicht immer wieder fordern müßte. Man darf hoffen, daß aus ihr noch
wertvolle Bereicherungen der Kenntnis dessen, was Kranke wirklich erleben, erwachsen
werden.
Die Erweiterung der Phänomenologie der Gefühle wird vor allem die Arbeiten Geigers zu berück-
sichtigen haben: Das Bewußtsein von Gefühlen, Münchener Philosoph. Abhandl., Th. Lipps zu sei-
nem 60. Geburtstag gewidmet, und: Zum Problem der Stimmungseinfühlung, Zeitschr. f. Ästhetik
6,1.1911.
Die phänomenologische Forschungsrichtung in der Psychopathologie
328 den, in | denen aber auf sorgfältige Begrenzung und Ordnung wenig Wert gelegt ist'.817
Das Persönlichkeitsbewußtsein ist von Oesterreich systematisch bearbeitet worden.
Für diese Probleme würden phänomenologische Schilderungen von Psychiatern,818
die das Material in Händen haben, und Selbstschilderungen, die eingehender als die
bisherigen sind, den größten Wert haben.
In der Histologie wird verlangt, man solle sich bei der Hirnrindenuntersuchung
von jedem Fädchen, jedem Körnchen Rechenschaft geben. Ganz analog fordert die
Phänomenologie: man soll sich von jedem seelischen Phänomen, jedem Erlebnis Rechen-
schaftgeben, das in der Exploration der Kranken und in ihren Selbstschilderungen zutage tritt.
Man soll sich auf keinen Fall mit dem Gesamteindruck und einigen ad hoc herausge-
holten Details zufrieden geben, sondern von jeder Einzelheit wissen, wie man sie auf-
zufassen und zu beurteilen hat. Verfährt man einige Zeit auf diese Weise, dann wird
einem einerseits manches weniger wunderbar, was man oft sah und was der j enige, der
nur mit dem Gesamteindruck arbeitet, sich nicht bewußt gemacht hat und je nach der
augenblicklichen Richtung seiner Eindrucksfähigkeit immer wieder erstaunlich und
noch nie dagewesen findet; andererseits aber achtet man auf das, was einem wirklich
unbekannt ist, und gerät in begründetes Staunen. Es ist keine Gefahr, daß dies Stau-
nen je aufhöre.
Es ist selbstverständlich, daß viele Psychiater schon durchaus so verfahren und es
mit Recht als eine Anmaßung empfänden, wenn ihnen damit Neues gesagt werden
sollte. Aber es ist die phänomenologische Einstellung durchaus nicht so verbreitet,
daß man sie nicht immer wieder fordern müßte. Man darf hoffen, daß aus ihr noch
wertvolle Bereicherungen der Kenntnis dessen, was Kranke wirklich erleben, erwachsen
werden.
Die Erweiterung der Phänomenologie der Gefühle wird vor allem die Arbeiten Geigers zu berück-
sichtigen haben: Das Bewußtsein von Gefühlen, Münchener Philosoph. Abhandl., Th. Lipps zu sei-
nem 60. Geburtstag gewidmet, und: Zum Problem der Stimmungseinfühlung, Zeitschr. f. Ästhetik
6,1.1911.