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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0443
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

liehe Zusammenhänge trennen. Dann ergibt sich eine Reihe von Übergängen in zwei
Richtungen, i. Auf der einen Seite stehen abnorme Seelenzustände, die durch eine see-
lische Erschütterung ursächlich bedingt sind (Katastrophenpsychose), ohne daß zwi-
schen Inhalt und Ursache viele verständliche Beziehungen beständen. Auf der andern
Seite stehen durch außerbewußte Prozesse entstandene Veränderungen der seelischen
Konstitution, deren einzelne Phase resp. Schub trotzdem massenhafte verständliche
Zusammenhänge mit dem Schicksal des Individuums zeigt. 2. Auf der einen Seite ste-
hen Psychosen, die durch eine seelische Erschütterung als wesentliche Ursache bedingt
345 sind und auch überzeugende verständliche Zusammenhänge zwi|sehen Erlebnis und
Psychoseninhalt zeigen (echte reaktive Psychosen). Auf der andern Seite stehen durch Pro-
zesse entstandene Psychosen, deren Inhalt keinen verständlichen Zusammenhang mit
dem Schicksal zeigt, wenn auch natürlich die Inhalte irgendwie aus früherem Leben
genommen sein müssen, ohne daß ihr Erlebniswert, ihr Wert als Schicksal das Aus-
schlaggebende für den Eintritt in den Psychoseninhalt wäre (reine Phasen oder Schübe).
Psychosen, die im Bleulerschen Sinne zur Schizophrenie zu zählen sind, werden
wir im folgenden als reaktive Psychosen kennen lernen. Wir werden sie phänomenolo-
gisch, kausal, genetisch verstehend betrachten, und werden dabei als Hauptziel die Her-
ausstellung des Zusammenhangs zwischen Schicksal und akuter Psychose, eben die
Reaktivität, im Auge haben'. Der erste Fall ist psychologisch grob und einfach. Er wird
mehr ein prinzipielles Interesse haben. Der zweite Fall ist psychologisch feiner und
dürfte durch die bei ihm eruierten Zusammenhänge an sich Interesse erwecken.
Moritz Klink",8v geb. 1879, ein körperlich außerordentlich kräftiger Taglöhner, machte im Juni
1911 und im Juni 1912 je eine kurzdauernde, erlebnisreiche akute Psychose durch.
Vorgeschichte
Heredität: Vater an Apoplexie gestorben. Ein Bruder war bis zum 16. Jahr in einer Erziehungsanstalt.
Kindheit (eigene Angaben): Beim Stiefbruder des Vaters in einem kleinen ländlichen Orte, dann
beim Großvater aufgewachsen, da seine Eltern tot waren. Ärmliche Verhältnisse. Als Junge war er
immer vergnügt, hat gern gesungen. In der Schule lernte er leicht. Weil er mehr Dummheiten
machte - wobei er immer der erste war - als lernte, kam er nur bis zur 5. Klasse (siebenklassige
Schule). - Während der ganzen Schulzeit bettnässend. Mit n Jahren Typhus. Dabei traten auch
psychische Erscheinungen auf. Er habe sich in die Ecke gesetzt, sich versteckt, habe einmal einen
Bettlaken als Unterhose anziehen wollen. Nachts habe er mitunter gemeint, er wäre schon wie-
weit fort. Er lag etwa 8 Monate zu Bett. Als er aufstand, habe er nicht mehr laufen können.

i Nach dem gegenwärtigen Stande, vielleicht der Natur der Sache nach für immer, kann man eine psy-
chopathologische Frage nur im Hinblick auf das Ganze untersuchen. Wir müssen von Fällen, die zu
einer Frage beitragen sollen, möglichst alles uns erreichbare Material Zusammentragen. Nur so kön-
nen die Fälle späteren Forschern noch in brauchbarer Weise als Material zur Nachprüfung dienen.
ü Alle in den Krankengeschichten vorkommenden Namen sind natürlich nicht die wirklichen, son-
dern Decknamen.
 
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