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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0447
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

Daheim aß K. zur Nacht. Dann war es ihm, als ob jemand gesagt hätte, es sei ein Herr da, der
wolle ihn sprechen, er solle auf die Polizei kommen. Es war, wie wenn es im Innern gesprochen
hätte. Er dachte, vielleicht habe seine Frau jemanden auf die Polizei geschickt, ihren Schwager
oder sonst jemanden. Er ging deshalb um 8 Uhr wieder zur Polizei. Draußen setzte er sich auf
eine Bank. Plötzlich kamen die beiden Bauer auf ihn zugesprungen. Als K. sie sah, sprang er auf
gegen sie und dachte: »Entweder müssen sie mich jetzt zusammenschlagen oder zusammen-
schießen, oder was sie machen.« Ein Schutzmann rief, er solle Zurückbleiben und sie gehen las-
sen (das alles war nach des Kranken jetziger Ansicht keine Wirklichkeit). Auf der Straße kamen
ihm dann ungefähr 200 Arbeiter entgegen, alle mit einem Revolver bewaffnet. Sie riefen: »Das
ist der Mörder.« Er hat kein Knallen gehört. Auch hätten ihn die Arbeiter gar nicht treffen kön-
nen. Denn er hatte sich geschützt geglaubt durch eine Erfindung: Gegen ihn gehe kein Revol-
ver los, nur wenn man die Waffe von ihm wegwende, gehe sie los.
Nun ging K. zur Polizeiwache. Dort wurde er gefragt, was denn mit seiner Frau geschehen
solle. Er sagte, sie solle heimkommen, das Bett sei ja noch da. Der Schutzmann sagte: dann
müsse er 250 Mark zahlen. Er: wenn alles gut wird, sind die 250 Mark auch zu bezahlen. Wozu,
danach hat er nicht gefragt.
Nun meinte der Schutzmann, er sei lungenkrank und müsse zum Arzt. Um 9 Uhr wurde er in
einem Sanitätswagen zum Krankenhaus gebracht. Der Begleiter sagte, die beiden Bauer würden
auch ins Krankenhaus kommen. Er erwiderte, er wolle sie nicht sehen. Er sah sie aber schon in
einem Auto hinter dem Sanitätswagen. Im Krankenhaus sah er sie wieder.
Er erklärte im Krankenhaus, er wolle morgen früh um 6 Uhr arbeiten und jetzt wolle er wieder
fort, wurde aber gegen seinen Willen zurückbehalten, in eine Zelle gesperrt und der Kleider beraubt.
»Und da war ich eine Zeitlang drin, und dann hab ich auf einmal angefangen.« Er habe getobt,
habe seine Frau, seine Kinder, die beiden Bauer und andere Leute gesehen. Er schrie, sie seien
Schuld, daß er hier sei. Der Bauer solle es jetzt mit seiner Frau nicht so machen, wie er es mit ande-
ren Mädels gemacht habe (er hatte sich nämlich schon einmal 26 Wochen von einem Mädchen
aushalten lassen). Dabei habe er immer auf den Bauer losgeschlagen. Frau und Kinder sagten, sie
wollten von B. nichts mehr wissen. Aber B. hat immer seine Frau hochgehoben und gesagt: sie darf
nicht fort. Auf diese Weise, so sagt der Kranke, habe er so lange geschafft, bis er müd geworden und
eingeschlafen sei. Wie er ausgeschlafen habe am Dienstag morgen, sei alles vorbei gewesen. -
Die Anamnese von Seiten anderer Personen bestätigt und ergänzt seine Angaben. Nach den Anga-
ben seiner Wirtin, bei der er die letzten Wochen allein wohnte, sah er am Samstag Leute aufs
Dach klettern, nach ihm schießen, hörte sie schimpfen, er wäre der Mörder. Er sah Ratten,
Mäuse, Tiger im Zimmer, war sehr ängstlich. Er sprach ganz verworren. Auf der Straße waren 170
Kanonen auf ihn abgeschossen, doch keine habe getroffen.
Am Montag abend im Krankenhaus war er nach Bericht des Arztes sehr unruhig, lief in der
Zelle hin und her, schlug gegen die Wand, sah den Schlafburschen Bauer, sprach mit Frau und
Kindern. Am Dienstag vormittag war er ruhiger, erzählte, daß man auf ihn geschossen habe,
daß er aber unverletzlich sei. Er sah noch allerhand Getier.
Am 28. Juni (Mittwoch) kam K. in die Heidelberger Klinik. Er war bei der Aufnahme ruhig,
geordnet und völlig orientiert, faßte gut auf und gab sinngemäße Antworten. Er erzählte seine
Vorgeschichte richtig. Aus seinen Erlebnissen am Montag abend erzählte er nur von der Erfin-
349 düng seiner Unverletzlichkeit. Das hänge mit Magnetismus zusammen, sei noch | nicht ganz
ausgearbeitet, er müsse es sich noch überlegen. Das bringt er mit gehobener Zuversichtlichkeit
vor und mit der Überzeugung, wirklich eine Erfindung zu besitzen.
 
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