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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0465
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

Auch mündlich machte der Kranke jetzt Schwierigkeiten. Er verweigerte oft direkt die Ant-
wort, besonders bezüglich des letzten Teils der Psychose, in dem die Frau als Geist erschien. Er
äußerte: »Wenn ich so was erzähl, komme ich gleich in Wallung, daß ich schwitz.« »Überhaupt,
wenn ich was erzählen soll, kann ich’s doch nicht so, wie es war, es fehlen die Ausdrücke.« »Ich
kann mich an alles erinnern, will mich aber nicht darein vertiefen.« »Was soll ich mich jedes-
mal aufregen und immer wieder erzählen. Erst wenn bei mir alles im klaren ist (er meint sein
363 Verhältnis zur Frau), schreib ich’s von draußen und brings in die Klinik.« | »Ich hab schon genug
erzählt, es gibt keine drei, die so was erzählen.« Während der Erzählungen kann man objektiv
seine tatsächliche Erregung beobachten. Er wird rot und blaß, schwitzt, benimmt sich verlegen
(bei der Frage nach Erhöhung seiner Persönlichkeit, Beglückungsgefühlen u.a.).
Es ist nun im weiteren sehr auffallend, wie er mit unleugbarem Optimismus von der Zukunft
seiner Ehe denkt. Allerdings sagt er wohl mal, wenn seine Frau nun wieder untreu werde: »dann
wird standhaft vorgegangen, dann wird geschieden,« aber ohne rechten Ernst. Seine Frau, seit
langem prostituiert, lehnt ab, wieder mit ihm zusammen zu kommen, besucht ihn nur einmal,
kommt dann nicht wieder. Allerdings erhält er einen Brief von seiner Schwägerin, seine Frau
wolle zu ihm kommen, wenn er sein Versprechen halte: Lohn abgeben, nichts trinken. Daß
seine Frau nicht mehr kommt, motiviert er: sie geniert sich, weil sie das letzte Mal den Ärzten
so ungünstige Angaben über ihn gemacht habe. Er glaubt, seine Ehe wird gut, eigentlich ist für
ihn daran kein Zweifel: »Voriges Jahr hab ich zwei Tage gebraucht. Sonntag wirds gut sein« mit
dieser Meinung wurde er am Mittwoch, 31. Juli, entlassen.
Gegen die Ärzte war er im allgemeinen etwas mißtrauisch, ohne bestimmte Wahnideen zu
haben. Er meinte, man wolle ihn vielleicht verrückt machen u. dgl. oder wieder, man glaube,
er sei verrückt, er sei blödsinnig. Man helfe seiner Frau und gebe ihm gar kein Recht. »Heutzu-
tage hat der Mann ja gar kein Recht mehr, weil das Frauenrecht ist.«
Das Benehmen des Kranken in Bewegungen und Gesten ist natürlich. Der Gesichtsausdruck
ist nicht auffallend. Vielleicht fällt manchmal eine gewisse Euphorie ohne genügende Motivie-
rung auf. Der ganze Ausdruck hat bei dem starken großen Manne etwas Mattes.
Zur Charakterisierung seiner Art folgen noch weiter einige Stellen aus Briefen: Am 28. Juni
1912 schrieb er den ersten Brief:
»Werte Schwägerin Ich bitte doch jetzt auch noch einmal, daß ich die ganze Fami-
lie Katz (Familie der Frau) nebst Angehörigen innigst um Verzeihung. Indem ich jetzt
doch einsehe daß ich die Hauptschuld trage Ich habe das vergangene Leben vor
Augen, die Gegenwart auch. Aber die Zukunft soll aber jetzt doch ein glückliches Leben
sein für unsere Familie. Ich hätte etwas Wichtiges zu sprechen mit meiner lieben Frau
und Kindern, denn ich habe jetzt doch keine Ruhe mehr mich länger zu verbergen vor
Euch... Ich hoffe, daß mir meine liebe Frau und die größeren Kinder alles verzeihen, was
ich auch tun werde, um wieder ein friedliches Leben zu führen
Achtungsvoll M. K.«.
Dazu schreibt er »Ich bitte um baldige Antwort zum Schluß
Horch, liebe Schwägerin mein,
Ich, Euer fünftes Stiefsöhnlein
Fand in dem Trunk mein Sterbebett
Ich schrie: »Ach Martha, rettet mich.«
Doch keine wars, die’s hören tat,
 
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