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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0476
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

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Abend, ging zum Kurkonzert. Dort bekam er einen »Anfall«, einen Erregungszustand, wurde
festgenommen und ins Krankenhaus gebracht. Zunächst war er in einer Einzelzelle, dann wurde
er mit andern Kranken zusammengelegt.
Am Montag kam seine Schwester und sein Onkel. Er sagte zur Schwester: Gelt Hanne, ich bin
doch nicht verrückt? Darauf weinte er. Am Tage vorher sollte er gesagt haben, er sei der Kaiser
von China. Jetzt antwortete er dem Arzt: heute sei er der Papst. Das sagte er lachend, so daß die
Schwester den Eindruck hatte, er wolle den Arzt verulken. Er sei wohl durch die Fragen gereizt
worden. Beim Besuch sei der Kranke ganz ruhig gewesen. Ein Wärter kam mit, als sie im Auto
zur Heidelberger Klinik fuhren. Im Auto erschrak er, als er Heidelberg erkannte. Er schlug vor,
ins Hotel zu fahren. Er erschrak, als der Chauffeur nach der Klinik fragte. Bei Ankunft vor der
Klinik antwortete er nicht mehr. Beim Abschied von der Schwester war er gezwungen freund-
lich. Auf diese Weise kam der Kranke am Dienstag abend in die Klinik.

Objektive Beobachtung in der Klinik während der akuten Psychose
In sich zusammengesunken saß er im Aufnahmezimmer, blickte vor sich hin und stand nicht
auf, als der Arzt kam. Auf Orientierungsfragen gibt er mit leiser Stimme richtige Antworten: er
komme von N., sei dort aufgeregt gewesen, sei im Kurpark auf und ab gerannt, | habe sich aber 373
nicht ausgezogen, wie man behauptete. Man habe ihn ins Krankenhaus gebracht und dort Ein-
spritzungen gemacht. Er lächelt beim Sprechen den Wärter und Arzt an. Ohne Widerstreben
geht er mit auf die Abteilung. Im Privatzimmer verhält er sich ruhig, sitzt, als der Arzt kommt,
in kauernder Stellung am Fußende des Bettes, legt sich aber sofort ordentlich hin.
Am nächsten Tage (Mittwoch) ist er wiederum orientiert, hat keine Beschwerden, »nur phanta-
stische Vorstellungen, von denen ich nicht weiß, ob es Phantasie oder Wirklichkeit ist..., so weiß
ich nicht, ob Sie in Wirklichkeit hier sitzen oder ein anderer sind.« »Ich glaube, daß Sie ich sind,
vielleicht mehr.« Nach seinen »Phantasien« gefragt, meint er: das ist ein langer Prozeß, wenn ich
da anfange, das dauert lange, ich kenne mich in der Datierung nicht aus. Er erzählt von einer
Dame X., von dem großen Eindruck dieser Persönlichkeit, wie er dachte, es sei seine Schwester.
»Als ich sie sah, traten Nervenzuckungen im Gesicht auf und merkwürdige Empfindungen.«
Ferner erzählt er von seinem jetzigen Zustand: alle Geräusche spür ich in mir, jetzt das
Geräusch draußen faß ich auf als »Rache«. Ich versteh auch die Vogelstimmen. Jetzt der Zug
(Eisenbahn) heißt: ich soll ruhig sein. Es heißt jetzt: »Wehe, wehe«.
Und weiter urteilt er über alles: »na, es ist ja berechtigt, wenn man mit mir spielt, weil jeder in
mir, und ich in jedem bin; denn nur die Phantasie ist Wirklichkeit, und die Welt (Wirklichkeit)
ist Phantasie geworden für jeden durch mich.« Er habe nicht mehr Kraft wie andere: »sobald ein
anderer das einsieht, hat er dieselbe Kraft wie ich.« »Ich bin nicht Gott, aber sein Sohn wie jeder
andere auch ... Sie müssen einen besonderen Sinn in meine Worte legen, sonst ist es Bockmist.
Alles kam mir in den letzten 3 Jahren. Wenn ich andern Leuten das sage, dann ist das Größen-
wahn.«
Alle diese Sätze spricht er mit leiser Stimme, ganz langsam, wie wenn er sich zwischen jedem
Satze erst noch einmal lang besinnen müsse, schaut dabei den Arzt unverwandt an. Zu einer
kurzen Darstellung seiner Erlebnisse ist er nicht zu bringen. Eine geordnete Unterredung ist mit
ihm nicht möglich. Er unterbricht sich plötzlich, schaut horchend zum Fenster, fragt, ob der
Arzt nicht eben gehört habe, wie der Hund »Du Narr, du Narr« bellte. Er höre die Kobolde spre-
chen, ihn necken, höre die Stimme der Dame X. Die Stühle im Rutschen sprechen. Er ist dazwi-
 
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